Die Invalidenstraße ist von der deutschen und Berliner Geschichte durchzogen. Verstehen kann man die Straße erst, wenn man sich ein bisschen genauer damit beschäftigt, wie der Ort vor der ersten Besiedlung beschaffen war. Das soll, quasi als Einleitung, etwas genauer dargestellt werden.
Wald und Sand
Wenn man vor 270 Jahren an der Stelle gestanden wäre, wo jetzt der Invalidenpark ist, hätte man nicht allzu viel gesehen.
Man wäre außerhalb der Stadttore Berlins gewesen. Wenn man nach Westen gesehen hätte, wäre zur Linken die Stadtmauer gewesen, dahinter die Charité, die als Pesthaus erbaut worden war. Das Invalidenhaus war schon länger geplant, aber noch nicht verwirklicht. Auf der rechten Straßenseite sah man lediglich in einigen hundert Metern Entfernung direkt an der Panke eine Schleif- und Poliermühle, die Anfang des 18. Jahrhunderts dort gebaut worden war. Wenn man sich Richtung Westen drehte, hätte man auf einen Wald gesehen, davor war die damals noch hölzerne Sandkrugbrücke, die über den damaligen Schönhauser Graben führte. Links neben der Sandkrugbrücke war zunächst Menardies Weinberg (oder der „hohe Weinberg“), dahinter und daneben Pulvermagazine und Pulvermühlen. Richtung Osten sah man nur eine große unfruchtbare Sandfläche, die Stadtgrenze war weit im Süden. Diese Sandfläche oder Sanddüne war dadurch entstanden, dass der dort vorher stehende Wald abgeholzt wurde. Nach einer Quelle, für die Palisaden der damaligen Stadtmauer, nach einer anderen, um Brennholz für die Stadt zu haben. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, der Norden Berlins, jenseits der Stadtmauer, bestand aus Sand. Bestelltes Feld kam erst wieder ab etwa dem Gebiet, auf dem jetzt der Weinbergspark liegt. Dort war damals Sparrens Weinberg, östlich davon begann wieder landwirtschaftlich bewirtschaftetes Gelände.
Wald und Sand
Wenn man vor 270 Jahren an der Stelle gestanden wäre, wo jetzt der Invalidenpark ist, hätte man nicht allzu viel gesehen.
Man wäre außerhalb der Stadttore Berlins gewesen. Wenn man nach Westen gesehen hätte, wäre zur Linken die Stadtmauer gewesen, dahinter die Charité, die als Pesthaus erbaut worden war. Das Invalidenhaus war schon länger geplant, aber noch nicht verwirklicht. Auf der rechten Straßenseite sah man lediglich in einigen hundert Metern Entfernung direkt an der Panke eine Schleif- und Poliermühle, die Anfang des 18. Jahrhunderts dort gebaut worden war. Wenn man sich Richtung Westen drehte, hätte man auf einen Wald gesehen, davor war die damals noch hölzerne Sandkrugbrücke, die über den damaligen Schönhauser Graben führte. Links neben der Sandkrugbrücke war zunächst Menardies Weinberg (oder der „hohe Weinberg“), dahinter und daneben Pulvermagazine und Pulvermühlen. Richtung Osten sah man nur eine große unfruchtbare Sandfläche, die Stadtgrenze war weit im Süden. Diese Sandfläche oder Sanddüne war dadurch entstanden, dass der dort vorher stehende Wald abgeholzt wurde. Nach einer Quelle, für die Palisaden der damaligen Stadtmauer, nach einer anderen, um Brennholz für die Stadt zu haben. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, der Norden Berlins, jenseits der Stadtmauer, bestand aus Sand. Bestelltes Feld kam erst wieder ab etwa dem Gebiet, auf dem jetzt der Weinbergspark liegt. Dort war damals Sparrens Weinberg, östlich davon begann wieder landwirtschaftlich bewirtschaftetes Gelände.
Blick
vom Invalidenhaus nach Westen, Mitte des 18 Jhds.. Man sieht links die
Sandkrugbrücke angedeutet, dort wo jetzt Moabit ist, ist nur Wald. (Bild gemeinfrei.)
Blick
von der Sandkrugbrücke nach Osten, 1815. Man sieht das Invalidenhaus und den
Schornstein der Eisengießerei. (Bild gemeinfrei.)
Berliner Wein ist wie das Blut
der Erde
1750 hätte also die
Invalidenstraße an einem Weinberg begonnen und an einem Weinberg geendet. Berlin
verbindet man nicht unbedingt mit einem Weingebiet, auch wenn der Berliner Wein
in den letzten Jahren einen gewissen Aufschwung erfahren hat; es gibt inzwischen verschiedene Weinbauern im Stadtgebiet. Anders als vor ein paar Jahren noch
darf der Wein sogar verkauft werden; man findet auch einige durchaus
enthusiastische Rezensionen. Tatsächlich ist die Weintradition von Berlin schon
sehr alt, seit dem 12. Jahrhundert wurde Wein angebaut. Man muss sich aber über die
Qualität, die dem Trinker auf den Weinbergen der Invalidenstraße angeboten
worden wäre, keine Illusionen machen. Der Berliner Wein galt als sauer, ihm
wurden Gewürze zugegeben, damit er genießbar wurde. Der Berliner Weinanbau
wurde wohl auch deswegen betrieben, weil der Import anderen Weines zu umständlich
oder zu teuer gewesen wäre. Das änderte sich im 19. Jahrhunderts, deswegen
wurden die Berliner Weinberge auch nach und nach aufgegeben. Der Weinbergspark
an der Veteranenstraße erinnert zumindest noch mit seinem Namen an die frühere
Nutzung.
Das Invalidenhaus
Anfang
des 18. Jahrhunderts gab es die ersten Pläne, für die dienstuntüchtigen
preußischen Soldaten eine Versorgungsanstalt zu erbauen. Die Pestepidemie 1709
machte dann aber den Bau eines Pesthauses, der späteren Charité dringender.
Deswegen entstanden südlich der Sandkrugbrücke die ersten Gebäude der Charité. Zunächst
noch außerhalb der Stadtmauer, später dann aber innerhalb des Stadtgebiets. Mit
der steigenden Beteiligung der Preußen an den europäischen Kriegen unter
Friedrich II. wurde dann allerdings auch die Einrichtung eines Invalidenhauses
wieder dringlicher, die Zahl der invaliden preußischen Soldaten ging Mitte des
18 Jahrhunderts in die Tausende. Friedrich II. entschied, dass das sandige
Land östlich der Sandkrugbrücke für die Anlage geeignet war. Der Schönhauser
Graben wurde ausgebaut, dass Schiffe Baumaterial liefern konnten, der Bau ging
rasch voran. 1747 war Grundsteinlegung, 1748 war das Invalidenhaus im
Wesentlichen fertiggestellt. Die Invaliden sollten sich selbst versorgen,
deswegen gehörten zu dem Invalidenhaus weite Ländereien, die landwirtschaftlich
genutzt werden sollten. Auch eine Brauerei war vorgesehen. Das Gebiet umfasste
den Bereich von der jetzigen Scharnhorststraße im Westen bis zur Ackerstraße im
Osten, nördlich begrenzt etwa in Höhe der jetzigen Ida-von-Arnim-Straße, im
Süden noch einige 100 Meter über die Invalidenstraße hinausreichend. Das
BND-Gebäude, der Nordbahnhof, der Dorotheenstädter Friedhof – all das liegt auf
dem früheren Gelände des Invalidenhauses.
Scheiße, Sand und Unkraut
Die
Kultivierung des Areals des Invalidenhauses stellte durchaus ein Problem dar.
Immerhin handelte es sich um ein Gelände, das im Wesentlichen aus Flugsand
bestand. Friedrich II. sah die Möglichkeit, zwei Probleme auf einmal zu lösen.
Innerhalb Berlins gab es noch keine Kanalisation. Nicht nur der Tiermist wurde
einfach auf die Straße geschmissen, was nicht nur gesundheitsgefährdend war.
Dieser Straßenkot, Modder genannt, wurde deswegen regelmäßig abgeholt und vor
die Tore der Stadt gebracht. Der Straßenkot musste dann mit dem Sand vermischt
werden. Damit das Gemisch fest wurde, wurde es mit Queckengras bepflanzt. In
diesem Zusammenhang war die Fähigkeit der Quecke, aus kleinsten Wurzelstücken
zu treiben und in kürzester Zeit lange Wurzeln zu bilden, von Vorteil. Einfache
Arbeit war diese Art der Kultivierung aber nicht, vor allem wenn man bedenkt,
dass sie von den Kriegsinvaliden ausgeführt werden sollte. Das Problem des
Flugsandes wurde auch über lange Zeit nicht zufriedenstellend gelöst.
Friedrich Engels, der 1841 als Freiwilliger in
einem Artillerie-Regiment diente, das seinen Exerzierplatz etwa dort hatte, wo
jetzt das BND-Gelände ist, also westlich der Chausseestraße, schrieb seiner
Mutter 1842 einen mauligen Brief darüber, dass man auf dem Exerzierplatz bis
über die Knie im Sand versinke.
Seide
Ein
größeres Areal von der Panke bis zur jetzigen Habersaathstraße war für eine
Maulbeerplantage vorgesehen, Maulbeerbäume wurden auch am westlichen Ende der
Invalidenstraße angepflanzt. Maulbeerbäume gaben mit ihrem Laub die Nahrung für
Seidenraupen. Preußen, wie die anderen europäischen Staaten auch, versuchte den
eigenen Seidenanbau zu fördern, um unabhängig von Seidenexporten zu werden. Der
Hintergrund war auch militärisch: Seide als strapazierfähiges Gewebe brauchte man
für die Armeeausrüstung. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es schon größere
Maulbeerbaumplantagen in Berlin, etwa dort, wo jetzt das Schloss Bellevue steht
und auch am westlichen Ende der Invalidenstraße. Um die Zeit gab es auch reiche
Literatur zur Anleitung, wie z.B. Die Abhandlung zu den Maulbeerbäumen, den
Seidenwürmern und dem Seidenspinnen, Nebst einem Anhang von dem Seidenbau in
Berlin und der Churmark Brandenburg, von L. Pomier. In diesem Buch werden
auch die acht Hauptfeinde der Seidenwürmer in Berlin genannt. Neben allerhand
Arten von Spinnen, Baumwanzen, Ameisen, kleinen Vögeln und Feld- und
Gartenmäusen werden auch „die Art Würmer, die eine Zange am Hintern haben“
genannt. Zumindest der Seidenanbau beim Invalidenhaus war kein Erfolg, daran
waren allerdings wohl weniger die Würmer mit Zangen am Hintern als die
klimatischen Verhältnisse in Berlin schuld. An der Invalidenstraße sollen über
2700 Maulbeerbäume angepflanzt worden sein, keiner hat sich erhalten.
In Berlin gibt es allerdings noch einige Maulbeerbäume. Für einen, der wohl auch im 18. Jahrhundert gepflanzt wurde, muss man nur ein Stück weiter zur Friedrichstraße 129 gehen. Gegenüber vom Friedrichstadtpalast findet sich im Innenhof des Hauses (über die Claire-Waldoff-Straße) ein alter Maulbeerbaum, der schon gestützt werden muss.
In Berlin gibt es allerdings noch einige Maulbeerbäume. Für einen, der wohl auch im 18. Jahrhundert gepflanzt wurde, muss man nur ein Stück weiter zur Friedrichstraße 129 gehen. Gegenüber vom Friedrichstadtpalast findet sich im Innenhof des Hauses (über die Claire-Waldoff-Straße) ein alter Maulbeerbaum, der schon gestützt werden muss.
Vor den Toren der Stadt
Wenn man die Invalidenstraße
heute entlang geht, fällt es einem schwer sich vorzustellen, dass die ganze
Straße anfangs außerhalb der Stadtmauern lag. Die Straßennamen verraten es
allerdings. Auf der Höhe des Invalidenparks liegt gegenüber der Platz am Neuen
Tor. Zwei neue Gebäude an beiden Seiten der Luisenstraße, die als ziegelrote
Würfel konzipiert sind, sollen das frühere Tor, von Schinkel entworfen, noch
nachempfinden. Neues Tor deswegen, weil die Stadtmauer ursprünglich weiter
südlich verlief, die Charité auch außerhalb der Stadt lag, 1800 allerdings die
Stadtgrenze entsprechend verlegt wurde. Den damaligen Verlauf der Stadtmauer
kann man nachverfolgen, wenn man die Hannoversche Straße entlang geht, bis zum Oranienburger
Tor, man kann dann der jetzigen Torstraße (früheren Elsässer Straße) folgen,
die in etwa den nördlichen Verlauf der Stadtmauer verfolgt, am früheren Rosenthaler
Tor, Hamburger Tor und Schönhauser Tor entlang. 1866 bis 1869 wurde die
Stadtmauer endgültig abgetragen. An der Hannoverschen Straße kann man sich heute das
einzige erhaltene Stück der Stadtmauer ansehen.
Skizze von Schinkel zum Neuen Tor. (Bild gemeinfrei.)
Moderner Verkehr
Die
Lage nahe der früheren Stadtmauer, aber außerhalb der Stadt war auch ein Grund
dafür, dass die Invalidenstraße ein wichtiger Eisenbahn-Standort wurde. 1842
wurde der Stettiner Bahnhof (an dessen Stelle der heutige Nordbahnhof ist)
eröffnet, von dem die Züge in den Norden und an die Ostsee gingen, 1847 der
Hamburger Bahnhof und 1868 der Lehrter Bahnhof, an dessen Stelle heute der
Hauptbahnhof steht. Bei allen Bahnhöfen handelte es sich um Kopfbahnhöfe, eine
Verbindung der Bahnhöfe wurde zwar versucht, musste wegen des steigenden
Straßenverkehrs in der Invalidenstraße wieder aufgegeben werden.
Anfangs
waren die Bahnhöfe aber durchaus im Nirgendwo angesiedelt. In einem Bericht von
der ersten Stadtbahnfahrt 1882 (der 1911 im Vorwärts zitiert wurde) heißt es: „Die
Haltestelle am Lehrter Bahnhof ist in geradezu genialer Weise an dieser Stelle
errichtet worden. Soweit das Auge blicken kann, nirgends ein Gebäude, dessen
Insassen diese Haltestelle benutzen könnten. Ich nehme nämlich an, dass die
Insassen des Zellengefängnisses nicht Stadtbahn fahren, dass die Bewohner der
Ulanenkaserne auch nur an Sonntagen hierzu Zeit haben und dass die Beamten des
Kriminalgebäudes ebenso leicht zum Bahnhof Bellevue, als zum Bahnhof Lehrte
gehen.“
Verlegung der Straßenbahnschienen in der Invalidenstraße
Militär und Staatsgewalt
Das Invalidenhaus war ohnehin eine Militäreinrichtung, entlang der Invalidenstraße gab es dann noch weitere Militärgebäude. 1848 wurde am westlichen Ende der Invalidenstraße die Ulanenkaserne, ein burgartiges Gebäude mit einer Vorderfront von 164 m gebaut, in der über 600 Soldaten und ebenso viele Pferde beherbergt wurden (man muss sich das Gebäude so ähnlich wie die noch bestehende Garde-Dragoner-Kaserne am Mehringdamm 20/22 vorstellen). Auf dem Gelände des Invalidenhauses gab es den Exerzierplatz, von dem wir schon wissen, dass er Friedrich Engels zu sandig war, daneben, an der Chausseestraße die Kaserne des Garde-Füsilier-Regimen.
Neben der Ulanenkaserne wurde 1849 das Zellengefängnis Lehrter Straße gebaut, in dessen Hof auch Hinrichtungen durchgeführt wurden. Zuvor war seit 1753 zudem ein Richtplatz am heutigen Gartenplatz, dort fand die letzte Hinrichtung 1837 statt. Die Scharfrichterei war auch auf dem Gelände des Invalidenhauses, etwa von der heutigen Chausseestraße bis zum Nordbahnhof, dort wurde allerdings im Wesentlichen Tierkörperbeseitigung für Berlin betrieben. Auch eine wichtige hygienische Aufgabe, die anderen Anwohner klagten allerdings über den Gestank der von dieser Tätigkeit ausging.
Das Invalidenhaus war ohnehin eine Militäreinrichtung, entlang der Invalidenstraße gab es dann noch weitere Militärgebäude. 1848 wurde am westlichen Ende der Invalidenstraße die Ulanenkaserne, ein burgartiges Gebäude mit einer Vorderfront von 164 m gebaut, in der über 600 Soldaten und ebenso viele Pferde beherbergt wurden (man muss sich das Gebäude so ähnlich wie die noch bestehende Garde-Dragoner-Kaserne am Mehringdamm 20/22 vorstellen). Auf dem Gelände des Invalidenhauses gab es den Exerzierplatz, von dem wir schon wissen, dass er Friedrich Engels zu sandig war, daneben, an der Chausseestraße die Kaserne des Garde-Füsilier-Regimen.
Neben der Ulanenkaserne wurde 1849 das Zellengefängnis Lehrter Straße gebaut, in dessen Hof auch Hinrichtungen durchgeführt wurden. Zuvor war seit 1753 zudem ein Richtplatz am heutigen Gartenplatz, dort fand die letzte Hinrichtung 1837 statt. Die Scharfrichterei war auch auf dem Gelände des Invalidenhauses, etwa von der heutigen Chausseestraße bis zum Nordbahnhof, dort wurde allerdings im Wesentlichen Tierkörperbeseitigung für Berlin betrieben. Auch eine wichtige hygienische Aufgabe, die anderen Anwohner klagten allerdings über den Gestank der von dieser Tätigkeit ausging.
Zellengefängnis Lehrter Straße, oben links die Ulanenkaserne. Stich von 1855. (Bild gemeinfrei.)
I N T E R E S S A N T ... !
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