Mit diesen Informationen vorab
können wir uns nun auf einen Spaziergang durch die Invalidenstraße machen. Der
Weg wird nicht ganz gerade sein, wir werden einige Umwege machen müssen.
Wahrscheinlich sind wir mehr als die 3 km unterwegs, die die Invalidenstraße
misst. (Wie oben beschrieben, sind 6-8 km realistisch.)
(Kartenabschnitt für diese Etappe.)
Am Hauptbahnhof
Von 1868 bis zum Krieg war hier der Lehrter Bahnhof,
einer der wichtigsten Berliner Fernbahnhöfe. Die Gleise verliefen Richtung
Norden, nördlich der Invalidenstraße war das noch viel größere Areal des
Güterbahnhofs. Die Gleise des Fernbahnhofs kreuzten die Gleise der Stadtbahn,
die als Eisenbahnviadukt über das Gelände führten. Der S-Bahnhof Lehrter
Stadtbahnhof war auch das, was nach dem Krieg übrigblieb. Der eigentliche Lehrter
Bahnhof galt als Schloss unter den Bahnhöfen. Die Haupthalle führte in
nord-südlicher Richtung von der Invalidenstraße bis nahe an die Spree. Überhaupt
waren alle Bahnhöfe damals recht aufwändig gestaltet, wie sich zumindest noch
am Hamburger Bahnhof besichtigen lässt. Der Bahnhof grenzte nicht unmittelbar
an den Humboldthafen an, neben dem Humboldthafen war aber noch eine große
Lagerhalle. Alte Bilder zeigen, dass sowohl an der Spree, als auch im
Humboldthafen Lastkähne anlegten, am Bahnhof fand so auch der Güterumschlag
statt.
Lehrter Bahnhof, Blick von der Spree (Bild gemeinfrei.)
Der neue Hauptbahnhof hat
neben den Nord-Süd-Verbindungen, die inzwischen unterirdisch in 15 m Tiefe im
Tiefgeschoss des Bahnhofs verlaufen, auch die Ost-West-Verbindungen, die im
Obergeschoß etwa 10 m über Straßenniveau verlaufen. Die 320 m lange
Bahnhofshalle verläuft hier der Invalidenstraße entlang, das Bahnviadukt nimmt
deutlich mehr Platz in Anspruch als die frühere Führung der Stadtbahn.
Wenn
man Richtung Invalidenstraße aus dem Bahnhof geht, sieht man zunächst einen
durch Baustellen zerstückelten Vorplatz. Auf der Ebene, die zum Humboldthafen
gerichtet ist, sieht man eine Skulptur eines metallischen Pferdes in einer
runden Form. Es ist die Skulptur Rolling Horse von Jürgen Goertz, die an den
Lehrter Bahnhof erinnern soll. In ihrem Sockel kann man durch vier Öffnungen
architektonische Versatzstücke des alten Lehrter Bahnhofs sehen.
Vor dem
Bahnhof fallen einem Stare auf, die sich um weggeworfene Nahrungsmittel der
Reisenden streiten. In der Invalidenstraße findet man die unterschiedlichsten
Vögel; der feste Starenplatz ist allerdings nur hier vor dem Hauptbahnhof.
Vor dem Hauptbahnhof sieht man auch eine Struktur, die man eher im Moskau der 60er Jahre verortet hätte. Eine Straßenbahnhaltestelle, die aus doppelt gekrümmten Schalen aus Leichtbeton besteht. Sie soll in Analogie zu einem Taschentuch entworfen worden sein, mit dem den scheidenden Fahrgästen nachgewunken wird. Die Berliner Verkehrsbetriebe teilten mit, dass bei der Gestaltung der Haltestelle die Möglichkeiten der Bautheorie weitgehend ausgeschöpft worden seien, was zu besonderen Anforderungen bei der Bauausführung geführt habe
ULAP
Wir gehen zunächst nach links, Richtung Moabit. Hier gibt es entlang der oberen Bahnhofshalle verschiedene Neubauten, die kaum erahnen lassen, was hier früher zu finden war. An der Clara-Jaschke-Straße biegen wir links ab und kommen, an dem Wendekreis der Straßenbahnen und unter dem Bahnviadukt zu einem kleinen Parkstück, das ULAP-Park heißt. Der Park soll daran erinnern, dass hier seit etwa 1870 das Gelände des Landesausstellungsparkes war. (Vorher war hier, wir erinnern uns, bis 1839 die Berliner Pulvermühle). Seit 1882 wurde das Gelände durch das Stadtbahnviadukt getrennt, die Geländeteile waren durch Unterführungen verbunden, in dem Viadukt waren verschiedene Geschäfte und Restaurants.
Im Landesausstellungspark fand 1879 die erste Gewerbeausstellung
nach der Reichsgründung statt. Auf dem zur Invalidenstraße gelegenen Teil des
Ausstellungsgeländes gab es eine Parkanlage, mit Teichen, Blumenrabatten und
Springbrunnen. Dazu kamen Restaurants. Im Sommer gab es Militärkonzerte und
Kunstausstellungen. Ganz am Ende der Invalidenstraße war seit 1889 auch das
Urania-Gebäude mit einer Sternwarte. Dort wurden täglich bildende Vorträge
gehalten. Die Urania ist bald umgezogen, das Gebäude wurde im 2. Weltkrieg
stark beschädigt. Der Theater- und Vortragssaal wurde in das nunmehr in der
Invalidenstraße 58 befindliche Polizeigebäude integriert, wo er heute noch
besteht.
Ausstellungspalais 1885 (Bild gemeinfrei.)
Südlich des Bahnviadukts, dort
wo jetzt der verbleibende ULAP-Park ist, gab es das Hauptausstellungsgebäude. Auf
großen Teilen des früheren Geländes stehen nun die großen Hotels am Hauptbahnhof,
wie das Steigenberger. Direkt an der Spree war früher auch das Kolonialmuseum,
das den Schülern Wissen über die deutschen Kolonien vermitteln sollte.
Inzwischen wird man ja in Berlin an die Kolonien nicht mehr so gerne erinnert.
Mit
der Erläuterung, dass hier der Landesausstellungspark war, ist allerdings das
Kürzel ULAP noch nicht erklärt. Ab 1922 wurde hier unter der Bezeichnung
Universum Landesausstellungspark ein Vergnügungspark eröffnet, der unter der
Abkürzung ULAP bekannt und eine Konkurrenz zu dem Lunapark in Halensee wurde.
Es gab eine Berg- und Talbahn, Karussells, ein Teufelsrad und als
Hauptattraktion ein Nachbau Alt-Berlins. Die Vossische Zeitung war zur
Eröffnung wenig begeistert: So richtig kann diese Stimmung nicht
festgehalten werden, wenn eine Weiße mit Himbeer, für die der olle ehrliche
Berliner von anno Biedermaier einen Sechser bezahlt hat, in Alt-Berlin von 1922
fünf Mark berappen muss. Der Journalist und Nazi-Steigbügelhalter Adolf
Stein, der unter dem Pseudonym Rumpelstilzchen in der Hugenberg-Presse
wöchentlich über das Berliner Leben schrieb, beschreibt im Juli 1923 einen
Auftritt des Kraftmenschen Simson Breitbart im ULAP: „Er stellt das rechte
Bein vor und strafft es. Aus dem Oberschenkel springt plötzlich ein
Muskelgebirge vor. Der sogenannte Schenkelstrecker. Der dient Breitbart als
Amboß. Darauf biegt er eine 1½ Zoll dicke Eisenstange, an deren Echtheit nach
öffentlicher Untersuchung vor dem Publikum kein Zweifel mehr möglich ist, zusammen,
dreht sie dann in seinen Fäusten zur Spirale. […] Breitbart legt sich mit dem
Rücken auf ein dicht mit spitzen Nägeln gespicktes Brett. Über ein zweites
Brett, schon mehr Tischplatte, das auf ihn gelegt wird, marschieren ganze
Prozessionen von Menschen; gleichzeitig stehen immer mehrere darauf. Nachher
erhebt sich Simson und zeigt sich den Zuschauern, an die er herangeht, ganz
nahe. Er ist hinten, von den Nägeleindrücken, über und über rot punktiert und
gemustert. Aber durchbohren lassen sich diese stählernen Rückenmuskeln nicht.“
Mit derlei Vergnügungen ist es allerdings bald wieder vorbei, der ULAP ging 1925 schon wieder in Konkurs; es wurden danach noch die Kunstausstellungen etc. weitergeführt.
ULAP-Werbung 1922
In dem Park sieht man heute
vor allem die Haupttreppe zu der Straße Alt-Moabit. Von dieser Treppe aus kam
man zum Hauptausstellungsgebäude. Wo dieses war, steht inzwischen (u.a.) das
Steigenberger Hotel. In und zwischen den Stufen wachsen Bäume, die Wurzeln
heben die Steinstufen an. Wir verlassen den Park zunächst, werden aber später
noch einmal vorbeisehen. Es gibt keinen Ort in der Stadt, der nur
Vergnügungspark oder Hotelstandort war. Hier ist auch das ULAP-Gelände keine
Ausnahme.
Bahnhof mit V Ö G E L ... ist immer so ;D
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