Freitag, 17. Januar 2020

Spaziergang Beginn: Hauptbahnhof bis ULAP


Mit diesen Informationen vorab können wir uns nun auf einen Spaziergang durch die Invalidenstraße machen. Der Weg wird nicht ganz gerade sein, wir werden einige Umwege machen müssen. Wahrscheinlich sind wir mehr als die 3 km unterwegs, die die Invalidenstraße misst. (Wie oben beschrieben, sind 6-8 km realistisch.)

(Kartenabschnitt für diese Etappe.)

Am Hauptbahnhof

Wir beginnen am Hauptbahnhof, der seit 2006 in Betrieb ist.
Von 1868 bis zum Krieg war hier der Lehrter Bahnhof, einer der wichtigsten Berliner Fernbahnhöfe. Die Gleise verliefen Richtung Norden, nördlich der Invalidenstraße war das noch viel größere Areal des Güterbahnhofs. Die Gleise des Fernbahnhofs kreuzten die Gleise der Stadtbahn, die als Eisenbahnviadukt über das Gelände führten. Der S-Bahnhof Lehrter Stadtbahnhof war auch das, was nach dem Krieg übrigblieb. Der eigentliche Lehrter Bahnhof galt als Schloss unter den Bahnhöfen. Die Haupthalle führte in nord-südlicher Richtung von der Invalidenstraße bis nahe an die Spree. Überhaupt waren alle Bahnhöfe damals recht aufwändig gestaltet, wie sich zumindest noch am Hamburger Bahnhof besichtigen lässt. Der Bahnhof grenzte nicht unmittelbar an den Humboldthafen an, neben dem Humboldthafen war aber noch eine große Lagerhalle. Alte Bilder zeigen, dass sowohl an der Spree, als auch im Humboldthafen Lastkähne anlegten, am Bahnhof fand so auch der Güterumschlag statt. 



Lehrter Bahnhof, Blick von der Spree (Bild gemeinfrei.)

Der neue Hauptbahnhof hat neben den Nord-Süd-Verbindungen, die inzwischen unterirdisch in 15 m Tiefe im Tiefgeschoss des Bahnhofs verlaufen, auch die Ost-West-Verbindungen, die im Obergeschoß etwa 10 m über Straßenniveau verlaufen. Die 320 m lange Bahnhofshalle verläuft hier der Invalidenstraße entlang, das Bahnviadukt nimmt deutlich mehr Platz in Anspruch als die frühere Führung der Stadtbahn.

Wenn man Richtung Invalidenstraße aus dem Bahnhof geht, sieht man zunächst einen durch Baustellen zerstückelten Vorplatz. Auf der Ebene, die zum Humboldthafen gerichtet ist, sieht man eine Skulptur eines metallischen Pferdes in einer runden Form. Es ist die Skulptur Rolling Horse von Jürgen Goertz, die an den Lehrter Bahnhof erinnern soll. In ihrem Sockel kann man durch vier Öffnungen architektonische Versatzstücke des alten Lehrter Bahnhofs sehen. 

Vor dem Bahnhof fallen einem Stare auf, die sich um weggeworfene Nahrungsmittel der Reisenden streiten. In der Invalidenstraße findet man die unterschiedlichsten Vögel; der feste Starenplatz ist allerdings nur hier vor dem Hauptbahnhof.




Vor dem Hauptbahnhof sieht man auch eine Struktur, die man eher im Moskau der 60er Jahre verortet hätte. Eine Straßenbahnhaltestelle, die aus doppelt gekrümmten Schalen aus Leichtbeton besteht. Sie soll in Analogie zu einem Taschentuch entworfen worden sein, mit dem den scheidenden Fahrgästen nachgewunken wird. Die Berliner Verkehrsbetriebe teilten mit, dass bei der Gestaltung der Haltestelle die Möglichkeiten der Bautheorie weitgehend ausgeschöpft worden seien, was zu besonderen Anforderungen bei der Bauausführung geführt habe  




ULAP

Wir gehen zunächst nach links, Richtung Moabit. Hier gibt es entlang der oberen Bahnhofshalle verschiedene Neubauten, die kaum erahnen lassen, was hier früher zu finden war. An der Clara-Jaschke-Straße biegen wir links ab und kommen, an dem Wendekreis der Straßenbahnen und unter dem Bahnviadukt zu einem kleinen Parkstück, das ULAP-Park heißt. Der Park soll daran erinnern, dass hier seit etwa 1870 das Gelände des Landesausstellungsparkes war. (Vorher war hier, wir erinnern uns, bis 1839 die Berliner Pulvermühle). Seit 1882 wurde das Gelände durch das Stadtbahnviadukt getrennt, die Geländeteile waren durch Unterführungen verbunden, in dem Viadukt waren verschiedene Geschäfte und Restaurants. 

Im Landesausstellungspark fand 1879 die erste Gewerbeausstellung nach der Reichsgründung statt. Auf dem zur Invalidenstraße gelegenen Teil des Ausstellungsgeländes gab es eine Parkanlage, mit Teichen, Blumenrabatten und Springbrunnen. Dazu kamen Restaurants. Im Sommer gab es Militärkonzerte und Kunstausstellungen. Ganz am Ende der Invalidenstraße war seit 1889 auch das Urania-Gebäude mit einer Sternwarte. Dort wurden täglich bildende Vorträge gehalten. Die Urania ist bald umgezogen, das Gebäude wurde im 2. Weltkrieg stark beschädigt. Der Theater- und Vortragssaal wurde in das nunmehr in der Invalidenstraße 58 befindliche Polizeigebäude integriert, wo er heute noch besteht.

Ausstellungspalais 1885 (Bild gemeinfrei.)

Südlich des Bahnviadukts, dort wo jetzt der verbleibende ULAP-Park ist, gab es das Hauptausstellungsgebäude. Auf großen Teilen des früheren Geländes stehen nun die großen Hotels am Hauptbahnhof, wie das Steigenberger. Direkt an der Spree war früher auch das Kolonialmuseum, das den Schülern Wissen über die deutschen Kolonien vermitteln sollte. Inzwischen wird man ja in Berlin an die Kolonien nicht mehr so gerne erinnert.

Mit der Erläuterung, dass hier der Landesausstellungspark war, ist allerdings das Kürzel ULAP noch nicht erklärt. Ab 1922 wurde hier unter der Bezeichnung Universum Landesausstellungspark ein Vergnügungspark eröffnet, der unter der Abkürzung ULAP bekannt und eine Konkurrenz zu dem Lunapark in Halensee wurde. Es gab eine Berg- und Talbahn, Karussells, ein Teufelsrad und als Hauptattraktion ein Nachbau Alt-Berlins. Die Vossische Zeitung war zur Eröffnung wenig begeistert: So richtig kann diese Stimmung nicht festgehalten werden, wenn eine Weiße mit Himbeer, für die der olle ehrliche Berliner von anno Biedermaier einen Sechser bezahlt hat, in Alt-Berlin von 1922 fünf Mark berappen muss. Der Journalist und Nazi-Steigbügelhalter Adolf Stein, der unter dem Pseudonym Rumpelstilzchen in der Hugenberg-Presse wöchentlich über das Berliner Leben schrieb, beschreibt im Juli 1923 einen Auftritt des Kraftmenschen Simson Breitbart im ULAP: „Er stellt das rechte Bein vor und strafft es. Aus dem Oberschenkel springt plötzlich ein Muskelgebirge vor. Der sogenannte Schenkelstrecker. Der dient Breitbart als Amboß. Darauf biegt er eine 1½ Zoll dicke Eisenstange, an deren Echtheit nach öffentlicher Untersuchung vor dem Publikum kein Zweifel mehr möglich ist, zusammen, dreht sie dann in seinen Fäusten zur Spirale. […] Breitbart legt sich mit dem Rücken auf ein dicht mit spitzen Nägeln gespicktes Brett. Über ein zweites Brett, schon mehr Tischplatte, das auf ihn gelegt wird, marschieren ganze Prozessionen von Menschen; gleichzeitig stehen immer mehrere darauf. Nachher erhebt sich Simson und zeigt sich den Zuschauern, an die er herangeht, ganz nahe. Er ist hinten, von den Nägeleindrücken, über und über rot punktiert und gemustert. Aber durchbohren lassen sich diese stählernen Rückenmuskeln nicht.“ 

Mit derlei Vergnügungen ist es allerdings bald wieder vorbei, der ULAP ging 1925 schon wieder in Konkurs; es wurden danach noch die Kunstausstellungen etc. weitergeführt.

ULAP-Werbung 1922

In dem Park sieht man heute vor allem die Haupttreppe zu der Straße Alt-Moabit. Von dieser Treppe aus kam man zum Hauptausstellungsgebäude. Wo dieses war, steht inzwischen (u.a.) das Steigenberger Hotel. In und zwischen den Stufen wachsen Bäume, die Wurzeln heben die Steinstufen an. Wir verlassen den Park zunächst, werden aber später noch einmal vorbeisehen. Es gibt keinen Ort in der Stadt, der nur Vergnügungspark oder Hotelstandort war. Hier ist auch das ULAP-Gelände keine Ausnahme.





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