Freitag, 17. Januar 2020

Spaziergang Ende - Ackerstraße, Pappelplatz und Elisabethkirche


Die Ackerstraße

Wir entfernen uns immer weiter von der staatlich-prunkvollen Seite der Invalidenstraße und kommen in ein einfacheres Viertel. Die Ackerstraße, die weit in den Wedding geht, war eine von der Arbeiterstraßen. Nahe am Weinbergspark, zwischen Brunnen-, Invaliden- und Ackerstraße wurde Anfang des 18 Jahrhunderts die Kolonie Neu Voigtland gebaut.

(Kartenausschnitt für diese Etappe.)
Wir erinnern uns: zu diesem Zeitpunkt war hier nur der Weinberg und eine Sandscholle außerhalb der Mauern der Stadt. In der Kolonie Neu Voigtland siedelten sich die sächsischen Handwerker an, die in Berlin arbeiteten und ansonsten im Winter wieder nach Sachsen gezogen wären. Von den damaligen Gebäuden ist inzwischen nichts mehr zu sehen; die schmale Aufteilung der Grundstücke in diesem Bereich zeugt aber noch von der früheren Kolonie. In der Ackerstraße gab es einige Elendsquartiere. Alfred Döblin lässt nihct zufällig in seinem Roman Berlin Alexanderplatz Franz Biberkopf seine Freundin Ida in dieser Straße ermorden.

Das Elend im Berliner Norden blieb lange Zeit für die bessere Berliner Gesellschaft verborgen. 1904 geschah dort ein Mord, der dazu führte, dass die Verhältnisse allgemein bekannt wurden. Am 9. Juni 1904 wurde die achtjährige Lucie Berlin, die in der Ackerstraße 130 wohnte, vermisst. Wenige Tage später werden Leichenteile des Mädchens an verschiedenen Stellen in der Stadt angeschwemmt; ein Bein findet man am 17.Juni 1904 an der Sandkrugbrücke. Das Mädchen wurde vor dem Tod vergewaltigt. Als Mörder verdächtigt wird Theodor Berger, ein Zuhälter, der zusammen mit seiner Freundin, einer Prostituierten, im selben Haus wohnte. Lucie war in der Wohnung der beiden ein und ausgegangen. Der Beerdigungszug des Mädchens am 31. Juli 1904 beginnt beim Leichenschauhaus in der Hannoverschen Straße. Das Mädchen wird in einem offenen Sarge von einem Pferdegespann von dort über die Ackerstraße bis zum Elisabethkirchhof in der Prinzenallee gefahren. Es begleitet eine Musikkapelle, dem Zug folgen nach den damaligen Zeitungsberichten tausende von Menschen. Im Dezember folgt ein Indizienprozess mit über 100 Zeugen, der in den Berliner Zeitungen praktisch Wort für Wort berichtet wird und der Aufschluss über die elenden Wohn- und Lebensverhältnisse in der Ackerstraße gibt.  Berger wird verurteilt; eine wesentliche Rolle spielte dabei der Korb, in dem Teile der Leiche gefunden wurden, und der von verschiedenen Zeugen als identisch mit einem Korb aus Bergers Wohnung angesehen wurde. Berger, der bis zuletzt seine Unschuld beteuert, wird zu 15 Jahren Gefängnis im Zellengefängnis Lehrter Straße verurteilt.


Standbild aus dem Film: Das Mädchen aus der Ackerstraße

Die Ackerstraße wurde in Berlin so zur Chiffre für Verelendung. 1920 gab es einen Spielfilm „Das Mädchen aus der Ackerstraße“, der von der Prüfstelle mit einem strengen Jugendverbot belegt wurde. Der Niederschrift der Verhandlung der Filmprüfstelle Berlin vom 27.3.1924, die im Internet über das Archiv des Deutschen Filminstituts abrufbar ist, lässt sich entnehmen, dass die Filmprüfer die künstlerische Feinheit der Darstellung als verschärfend ansehen, als stellenweise die sinnlich schwüle Atmosphäre durch sie noch mehr zur Geltung komme, als dies beim weniger künstlerischen Spiel der Fall wäre. Das Publikum war wohl ähnlicher Auffassung; der Film fand noch zwei Fortsetzungen. 

Der Pappelplatz

Der Pappelplatz liegt gegenüber der Ackerhalle. Er enthält eine rätselhafte Figur auf einem Brunnen, ein nackter Mann, der in die Hocke geht und sich seine Hände ansieht.
Der Pappelplatz entstand 1833, als die Ackerstraße Richtung Norden in den Wedding verlängert wurde (und die Verlängerung zunächst Neue Ackerstraße genannt wurde). Wegen des Sophienfriedhofs entstand zwischen Invalidenstraße und Ackerstraße ein dreieckiger Platz, der zunächst als Marktplatz genutzt wurde. 

Die Figur auf dem Brunnen, die 1912 von Ernst Wenck gestaltet wurde, soll an diese Nutzung erinnern: Sie stellt einen Geldzähler dar.


Pappelplatz

Gegenüber dem Pappelplatz, über die Ackerstraße sehen wir einen Bauzaun, davor sind noch verschiedene Kerzen aufgestellt. Hier ereignete sich im Dezember 2019 ein Unfall, bei dem ein Autofahrer mit überhöhter Geschwindigkeit in eine Fußgängergruppe hineinfuhr. Vier Menschen mussten sterben.

Westlich des Pappelplatzes ist die Mauer des Friedhofs II der Sophiengemeinde Berlin. Hier sind die Gräber von Walter Kollo, Carl Bechstein und Carl Mampe („Mampe halb und halb“) zu finden.

Elisabethkirche


Wir sind schon fast am Ende unseres Spazierganges angelangt. Nunmehr kommen wir endlich an einem Gebäude, das von Karl Friedrich Schinkel entworfen wurde, vorbei. Schinkel, der ansonsten in Berlin omnipräsent zu sein scheint, sind wir in der Invalidenstraße bislang nur am Neuen Tor begegnet, wo allerdings nur noch 40 Meter seiner Stadtmauer zu finden sind.    

Die Elisabethkirche wurde 1835 von Schinkel im antiken Stil errichtet. Der enorme Bevölkerungszuwachs vor der Stadtmauer machte neue Kirchen notwendig. In der Nazizeit war die Elisabethkirche – wie schon die Gnadenkirche – ein Hort der Deutschen Christen, 1936 zierte ein Transparent die Kirche: „Dass wir unsere Kirche erneuern, verdanken wir dem Führer!“  Die Kirche brannte 1945 vollständig aus. Inzwischen wurde sie renoviert, sie wird für kulturelle Veranstaltungen genutzt und kann für Events gemietet werden.

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