Freitag, 17. Januar 2020

Spaziergang (4) - Invalidenfriedhof und Invalidenhaus


Der Invalidenfriedhof

Wir gehen über die Sandkrugbrücke und verlassen den westlichen Teil der Invalidenstraße. Vor uns auf der linken Seite ist der Gebäudekomplex des Bundeswirtschaftsministeriums, der Teile des früheren Invalidenhauses, mit dem ja alles begann, umfasst.

(Kartenabschnitt für diese Etappe.)
Um uns einen guten Überblick zu verschaffen, gehen wir links an dem Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal den Mauerweg entlang. Wir wissen, dass Wolfgang Herrndorf am 25.3.2013 diesen Weg, wenn auch in umgekehrter Richtung genommen hat, denn er notiert in seinem Krankheitstagebuch Arbeit und Struktur: Auf dem vereisten Kanalufer nach Mitte zum MRT. Hinterm Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zwischen Invalidenfriedhof und Naturkundemuseum.

Das markante Gebäude an der Invalidenstraße mit dem kleinen Turm mit Kupferdach, der schon von weitem gesehen werden kann, ist kein Teil des ursprünglichen Invalidenhauses. Es handelt sich um die Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. die 1908 fertiggestellt wurde. Mit ihr wurde der sog. kleine Invalidenpark überbaut, der sich vorher hier befand. Wir werden uns das Gebäude später genauer ansehen. Am Mauerweg entlang finden wir allerdings nach dem Gebäude der Akademie den verbleibenden Rest des Invalidenhauses. Es steht nur noch der zentrale Bau, die südlichen und nördlichen Gebäudeteile existieren nicht mehr. Wir sehen über eine Hainbuchenhecke den renovierten Teil des Hauptgebäudes mit merkwürdiger Kunst am Bau. Von der anderen Seite wird die Struktur des Hauses dann deutlicher werden.

Nach einigen Metern kommen wir zum Invalidenfriedhof. Damit haben wir aber noch nicht die ursprüngliche Nord-Süd-Erstreckung des Geländes des Invalidenhauses abgeschritten; auch noch nördlich des Invalidenfriedhofs gehörten Ländereien zum Haus. Der Invalidenfriedhof war ursprünglich nicht nur für die Militärs, sondern allgemein für die Bewohner des Invalidenhauses. Der Friedhof lag während der DDR-Zeit im Grenzgebiet und verwahrloste weitgehend. Franz Hessel beschreibt ihn 1929 in seinem Buch Spazieren in Berlin wie folgt: Das ist einer der Altberliner Kirchhöfe, wo man noch eine ganze Reihe schöner Grabmonumente zu sehen bekommt. Antikische Helme auf Schilden oder eine Steinvase von wunderbar einfacher Größe auf Grabsteinen der Obersten und Kommandanten des Invalidenhauses, Friesens schwarzes Kreuz, Scharnhorsts hohen Marmor mit dem sterbenden Löwen, Trophäen über Winterfeldts Grab und die Zinkplatte über dem Grab Tauentziens. Franz Hessel starb 1941 als Emigrant in Frankreich, in der Lindauer Straße 8 in Berlin erinnert noch eine Gedenktafel an ihn. Er war wohl zu wohlwollend mit dem Invalidenfriedhof, der in den Zwanziger Jahren als vaterländischer Gedenkort gepflegt wurde. Immerhin war schon 1925 dort mit großem Zeremoniell Manfred von Richthofen beigesetzt worden, der Jagdflieger aus dem 1. Weltkrieg (der inzwischen in Wiesbaden liegt). Laurenz Demps schreibt, dass Nutznießer dieser Entwicklung in den Zwanziger Jahren die antidemokratischen alten Eliten waren, für die der Friedhof eine Bedeutung als Denkmal der vaterländischen Geschichte erlangte. Die Nazis begangen später auch den Tag der Luftwaffe mit Kranzniederlegungen am Grab von Richthofens.


Beim Eingang des Invalidenfriedhofs sehen wir eine große Glocke, es ist die verbliebene Glocke der Gnadenkirche, die auf dem Invalidenpark stand.


Die von Hessel beschriebenen Grabmale existieren weitgehend noch, man sieht die Mischung aus antik geprägtem Militärkitsch und Bibelversen allerdings inzwischen mit einem größeren Unwohlsein. Auf dem Invalidenfriedhof wurden im Krieg auch verschiedene Nazigrößen beerdigt. Hier liegen z.B. Reinhard Heydrich und Fritz Todt. Deren Gräber sind inzwischen bewusst nicht mehr markiert, um keine Wallfahrtsorte für Neonazis zu schaffen. Die Angehörigen von Fritz Todt, SA-Standartenführer, seit 1940 Reichsminister für Bewaffnung und Munition, der die nach ihm benannte Organisation Todt leitete, eine militärisch organisierte Bautruppe, die ab 1943 vor allem auf Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zurückgriff und die Logistik des Todes sicherte, setzten sich aber Anfang des Jahrtausends gegen das Bezirksamt Mitte durch und verlangten eine Grabtafel, mit der Begründung, Todt sei kein Nazi gewesen, es sei ihm keine Verstrickung in das Verbrechen des Nazi-Regimes nachzuweisen. Die Grabtafel wurde zunächst gewährt. Sie ist zwischenzeitlich wieder entfernt, aber man muss nicht lange im Internet suchen, um Videos zu finden, in denen Kränze an dem entsprechenden Abschnitt des Invalidenfriedhofs abgelegt werden. Man erfährt zudem, dass es noch genügend Leute gibt, die Todt wegen seiner Verdienste für die deutschen Autobahnen schätzen, und tatsächlich ist der erste Satz des deutschen Wikipedia-Eintrags: Fritz Todt (* […]; †[…]) war ein deutscher Bauingenieur. Das Unbehagen, das einen dabei befällt, wird nicht geringer, wenn man liest, dass im Dezember 2019 Unbekannte, die offenbar genau wussten, wo sie suchen mussten, versuchten die Leiche von Reinhard Heydrich auszugraben. Das Böse, das einen bei dem Gang durch die Invalidenstraße immer begleitet, ist hier noch sehr aktuell tätig, anscheinend auch mit Schaufeln. Der preußische Militärkitsch wirkt wenig drollig und es fällt einem unwillkürlich auf, dass das Grab von Hans von Seeckt frisch mit Grablicht und Blumen geschmückt ist.


                                                   This is Sparta. Not. 

Zu den wenigen, die noch nach dem 2. Weltkrieg auf dem Invalidenfriedhof begraben wurde, gehört Wilhelm Staehle, der letzte Kommandant des Invalidenhauses, von dem noch die Rede sein wird.

Über den sichtbaren und unsichtbaren Gräbern von Militärgrößen, Kriegsverbrechern und einfachen und tapferen Leuten, hüpfen die Nebelkrähen herum, die hier einen Sammelplatz haben.

Wir gehen durch das Tor zur Westseite auf die Scharnhorststraße. Bevor wir unseren eigentlichen Rundgang fortsetzen gehen wir noch einmal nach links, zur Kieler Straße und finden dort, neben dem Berlin-Spandauer-Schifffahrtkanal einen der wenigen erhaltenen Grenzwachtürme. Früher gab es rund 300 davon entlang der Mauer. Dass dieser Turm erhalten wurde, ist dem Bruder des ersten Maueropfers Günter Litfin zu verdanken. In dem Turm ist auch eine Gedenkstätte für Günter Litfin.  

Wir gehen zurück zur Scharnhorststraße und biegen nach rechts, Richtung Invalidenhaus und Invalidenpark. 



Das Invalidenhaus


Wir kommen an dem Invalidenhaus vorbei. Man sieht die ursprüngliche Struktur, ein Hauptbau von 180 Meter Länge, mit zwei rechtwinklig angebauten Außenflügeln, die jeweils 85 Meter lang sind. Der ursprüngliche Hauptbau wurde im Krieg zerstört; die Seitenflügel wurden schwer beschädigt, blieben aber weitgehend erhalten. Die Optik des Abschlusses der Flügel ist markant, mit jeweils außen drei Fenster übereinander, in der Mitte eine Tür, über der sich ein rundes Fenster befindet. Die Türen waren ursprünglich rundgewölbt, aber auch mit den jetzigen Änderungen kann man sich eine gute Vorstellung machen, wie das Haus damals aussah. An dem Mittelportal war ursprünglich die lateinische Inschrift „Dem verwundeten und unbesiegten Krieger“ angebracht. Genau gegenüber vom Mittelportal beginnt die Habersaathstraße, an deren linker Seite jetzt das Gebäude des Bundesnachrichtendienstes steht. Lenné hatte Mitte des 19. Jahrhunderts die Idee, die Straße als Ausgangspunkt eines Ringboulevards um die Stadt zu machen, der im Abstand von mehreren hundert Metern von der Stadtmauer über den Friedrichshain bis zu Stralauer Platz führen sollte. Diese Planung wurde nie umgesetzt.


Seitenflügel des Invalidenhauses

Dort wo jetzt der BND die Nordseite dominiert, war früher der Exerzierplatz der Artillerie, später dann Polizeikasernen und ein Polizeisportplatz, zu DDR-Zeiten dann erst das Walter-Ulbricht-Stadium (später Stadion der Weltjugend).  Der Invalidenpark endet inzwischen schon südlich von der Habersaathstraße, da dort nun eine Plattenwohnbebauung steht. Früher erstreckte sich der Invalidenpark noch weiter nördlich der Habersaathstraße, die damals noch Kesselstraße hieß. In der Mitte der Kesselstraße war ein Platz, auf der die Invalidensäule aufgestellt war. Dieses Denkmal werden wir uns im Anschluss noch genauer im Zusammenhang mit dem Invalidenpark ansehen.


Blick auf das Invalidenhaus von der Habersaathstraße

Das Invalidenhaus war ursprünglich gegründet worden, um für die dienstuntüchtigen preußischen Soldaten eine Versorgungsanstalt zu haben. Die ersten Überlegungen waren, dass die Invaliden sich auch selbst versorgen könnten und dabei das sandige Land urbar machen. Von diesen Überlegungen musste man bald wieder abkehren, die Ländereien wurden verpachtet. Das Invalidenhaus blieb weiter militärisch organisiert, das kaiserliche Interesse wurde allerdings immer geringer. 1920 wurde die militärische Organisation des Invalidenhauses abgeschafft und das Gebäude dem Reichsarbeitsministerium unterstellt. 1937 wurde dann die Stiftung Invalidenhaus wieder der Wehrmacht zugegliedert. Letzter Kommandant des Invalidenhauses wurde Wilhelm Staehle. Wir haben schon auf dem Invalidenfriedhof sein Grab gesehen, vorher schon den Platz, wo er den Tod gefunden hat. Er gehörte zum Widerstand, war deswegen im Zellengefängnis Lehrter Straße inhaftiert, und gehörte zu den 16 Häftlingen, die kurz vor Kriegsende auf dem ULAP-Gelände erschossen wurden.

Wir haben inzwischen wieder die Invalidenstraße erreicht und biegen noch einmal rechts ab, um die ehemalige Kaiser-Wilhelm-Akademie genauer anzusehen. 

Kaiser-Wilhelm-Akademie


Die Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen wurde 1908 fertiggestellt. Sie sollte sicherstellen, dass genügend Militärärzte zur Verfügung stehen. Die unmittelbare Nachbarschaft zur Charité war dabei sicher hilfreich. Die Ausbildung in der Akademie war kostenlos, man musste sich allerdings danach für eine bestimmte Zeit als Militärarzt zur Verfügung stellen. Zu den Absolventen der Akademie gehörte u.a. der Dichter Gottfried Benn. Benn selbst fand später lobende Worte für die Akademie. Sie ist in der Invalidenstraße von weitem wegen der charakteristischen Kupferturmspitze zu erkennen.
Das Eingangsportal war ursprünglich noch von zwei großen Skulpturen gesäumt. Man sieht immer noch an der Fassade zwei Bänder mit Symbolen, die wohl an das ärztliche und kriegerische Geschäft erinnern sollen. Es ist eine interessante Übung, sich diesen Fries anzusehen und zu versuchen zu erraten, um was es sich handeln könnte. An der Ecke zur Scharnhorststraße ist dafür, besser zu erkennen, ein Relief eines antiken Kämpfers mit Pferd.



Die Kaiser-Wilhelm-Akademie musste gemäß dem Versailler Vertrag aufgelöst werden; das Gebäude wurde ab 1919 vom Reichsarbeitsministerium genutzt. 1934 wurde hier dann wieder die Ausbildung von Militärärzten aufgenommen. In der sowjetischen Besatzungszeit wurde das Gebäude zum Militärlazarett. 

In der DDR zogen in das Gebäude das Ministerium für Gesundheitswesen sowie die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberste Gericht der DDR. Hier tagte auch der 1. Strafsenat des Obersten Gerichts unter dem Vorsitz der späteren Justizministerin Hilde Benjamin. Unter ihrem Vorsitz verhängte das Oberste Gericht das erste Todesurteil der DDR. Benjamin war wegen ihrer großen Härte in der Verhandlungsführung gefürchtet; die Urteile standen oft auch schon vorher fest. Insgesamt verhängte das Oberste Gericht 17 Todesurteile. 


Das Gebäude wird inzwischen vom Bundeswirtschaftsministerium genutzt.



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