Der Invalidenfriedhof
Wir gehen über die
Sandkrugbrücke und verlassen den westlichen Teil der Invalidenstraße. Vor uns
auf der linken Seite ist der Gebäudekomplex des Bundeswirtschaftsministeriums,
der Teile des früheren Invalidenhauses, mit dem ja alles begann, umfasst.
(Kartenabschnitt für diese Etappe.)
Um uns einen guten Überblick zu verschaffen, gehen wir links an dem Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal den Mauerweg entlang. Wir wissen, dass Wolfgang Herrndorf am 25.3.2013 diesen Weg, wenn auch in umgekehrter Richtung genommen hat, denn er notiert in seinem Krankheitstagebuch Arbeit und Struktur: Auf dem vereisten Kanalufer nach Mitte zum MRT. Hinterm Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zwischen Invalidenfriedhof und Naturkundemuseum.
(Kartenabschnitt für diese Etappe.)
Um uns einen guten Überblick zu verschaffen, gehen wir links an dem Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal den Mauerweg entlang. Wir wissen, dass Wolfgang Herrndorf am 25.3.2013 diesen Weg, wenn auch in umgekehrter Richtung genommen hat, denn er notiert in seinem Krankheitstagebuch Arbeit und Struktur: Auf dem vereisten Kanalufer nach Mitte zum MRT. Hinterm Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zwischen Invalidenfriedhof und Naturkundemuseum.
Das markante Gebäude an der
Invalidenstraße mit dem kleinen Turm mit Kupferdach, der schon von weitem
gesehen werden kann, ist kein Teil des ursprünglichen Invalidenhauses. Es handelt
sich um die Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. die
1908 fertiggestellt wurde. Mit ihr wurde der sog. kleine Invalidenpark
überbaut, der sich vorher hier befand. Wir werden uns das Gebäude später
genauer ansehen. Am Mauerweg entlang finden wir allerdings nach dem Gebäude der
Akademie den verbleibenden Rest des Invalidenhauses. Es steht nur noch der zentrale
Bau, die südlichen und nördlichen Gebäudeteile existieren nicht mehr. Wir sehen
über eine Hainbuchenhecke den renovierten Teil des Hauptgebäudes mit
merkwürdiger Kunst am Bau. Von der anderen Seite wird die Struktur des Hauses
dann deutlicher werden.
Nach
einigen Metern kommen wir zum Invalidenfriedhof. Damit haben wir aber noch
nicht die ursprüngliche Nord-Süd-Erstreckung des Geländes des Invalidenhauses
abgeschritten; auch noch nördlich des Invalidenfriedhofs gehörten Ländereien
zum Haus. Der Invalidenfriedhof war ursprünglich nicht nur für die Militärs,
sondern allgemein für die Bewohner des Invalidenhauses. Der Friedhof lag
während der DDR-Zeit im Grenzgebiet und verwahrloste weitgehend. Franz Hessel
beschreibt ihn 1929 in seinem Buch Spazieren in Berlin wie folgt: Das
ist einer der Altberliner Kirchhöfe, wo man noch eine ganze Reihe schöner
Grabmonumente zu sehen bekommt. Antikische Helme auf Schilden oder eine
Steinvase von wunderbar einfacher Größe auf Grabsteinen der Obersten und
Kommandanten des Invalidenhauses, Friesens schwarzes Kreuz, Scharnhorsts hohen
Marmor mit dem sterbenden Löwen, Trophäen über Winterfeldts Grab und die
Zinkplatte über dem Grab Tauentziens. Franz Hessel starb 1941 als Emigrant
in Frankreich, in der Lindauer Straße 8 in Berlin erinnert noch eine
Gedenktafel an ihn. Er war wohl zu wohlwollend mit dem Invalidenfriedhof, der
in den Zwanziger Jahren als vaterländischer Gedenkort gepflegt wurde. Immerhin
war schon 1925 dort mit großem Zeremoniell Manfred von Richthofen beigesetzt
worden, der Jagdflieger aus dem 1. Weltkrieg (der inzwischen in Wiesbaden liegt).
Laurenz Demps schreibt, dass Nutznießer dieser Entwicklung in den Zwanziger
Jahren die antidemokratischen alten Eliten waren, für die der Friedhof eine
Bedeutung als Denkmal der vaterländischen Geschichte erlangte. Die Nazis
begangen später auch den Tag der Luftwaffe mit Kranzniederlegungen am Grab von
Richthofens.
Beim Eingang des Invalidenfriedhofs sehen wir eine große Glocke, es ist die verbliebene Glocke der Gnadenkirche, die auf dem Invalidenpark stand.
Die von Hessel beschriebenen
Grabmale existieren weitgehend noch, man sieht die Mischung aus antik geprägtem
Militärkitsch und Bibelversen allerdings inzwischen mit einem größeren Unwohlsein.
Auf dem Invalidenfriedhof wurden im Krieg auch verschiedene Nazigrößen
beerdigt. Hier liegen z.B. Reinhard Heydrich und Fritz Todt. Deren Gräber sind
inzwischen bewusst nicht mehr markiert, um keine Wallfahrtsorte für Neonazis zu
schaffen. Die Angehörigen von Fritz Todt, SA-Standartenführer, seit 1940
Reichsminister für Bewaffnung und Munition, der die nach ihm benannte
Organisation Todt leitete, eine militärisch organisierte Bautruppe, die ab 1943
vor allem auf Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zurückgriff und die Logistik
des Todes sicherte, setzten sich aber Anfang des Jahrtausends gegen das
Bezirksamt Mitte durch und verlangten eine Grabtafel, mit der Begründung, Todt
sei kein Nazi gewesen, es sei ihm keine Verstrickung in das Verbrechen des
Nazi-Regimes nachzuweisen. Die Grabtafel wurde zunächst gewährt. Sie ist
zwischenzeitlich wieder entfernt, aber man muss nicht lange im Internet suchen,
um Videos zu finden, in denen Kränze an dem entsprechenden Abschnitt des
Invalidenfriedhofs abgelegt werden. Man erfährt zudem, dass es noch genügend
Leute gibt, die Todt wegen seiner Verdienste für die deutschen Autobahnen
schätzen, und tatsächlich ist der erste Satz des deutschen Wikipedia-Eintrags: Fritz
Todt (* […]; †[…]) war ein deutscher Bauingenieur. Das Unbehagen, das einen
dabei befällt, wird nicht geringer, wenn man liest, dass im Dezember 2019
Unbekannte, die offenbar genau wussten, wo sie suchen mussten, versuchten die
Leiche von Reinhard Heydrich auszugraben. Das Böse, das einen bei dem Gang
durch die Invalidenstraße immer begleitet, ist hier noch sehr aktuell tätig,
anscheinend auch mit Schaufeln. Der preußische Militärkitsch wirkt wenig
drollig und es fällt einem unwillkürlich auf, dass das Grab von Hans von Seeckt
frisch mit Grablicht und Blumen geschmückt ist.
This is Sparta. Not.
Zu den wenigen, die noch nach
dem 2. Weltkrieg auf dem Invalidenfriedhof begraben wurde, gehört Wilhelm
Staehle, der letzte Kommandant des Invalidenhauses, von dem noch die Rede sein
wird.
Über den sichtbaren und unsichtbaren
Gräbern von Militärgrößen, Kriegsverbrechern und einfachen und tapferen Leuten,
hüpfen die Nebelkrähen herum, die hier einen Sammelplatz haben.
Wir gehen durch das Tor zur
Westseite auf die Scharnhorststraße. Bevor wir unseren eigentlichen Rundgang
fortsetzen gehen wir noch einmal nach links, zur Kieler Straße und finden dort,
neben dem Berlin-Spandauer-Schifffahrtkanal einen der wenigen erhaltenen
Grenzwachtürme. Früher gab es rund 300 davon entlang der Mauer. Dass dieser
Turm erhalten wurde, ist dem Bruder des ersten Maueropfers Günter Litfin zu
verdanken. In dem Turm ist auch eine Gedenkstätte für Günter Litfin.
Wir gehen zurück zur
Scharnhorststraße und biegen nach rechts, Richtung Invalidenhaus und
Invalidenpark.
Das Invalidenhaus
Wir
kommen an dem Invalidenhaus vorbei. Man sieht die ursprüngliche Struktur, ein
Hauptbau von 180 Meter Länge, mit zwei rechtwinklig angebauten Außenflügeln,
die jeweils 85 Meter lang sind. Der ursprüngliche Hauptbau wurde im Krieg
zerstört; die Seitenflügel wurden schwer beschädigt, blieben aber weitgehend erhalten. Die Optik des
Abschlusses der Flügel ist markant, mit jeweils außen drei Fenster übereinander,
in der Mitte eine Tür, über der sich ein rundes Fenster befindet. Die Türen
waren ursprünglich rundgewölbt, aber auch mit den jetzigen Änderungen kann man
sich eine gute Vorstellung machen, wie das Haus damals aussah. An dem
Mittelportal war ursprünglich die lateinische Inschrift „Dem verwundeten und
unbesiegten Krieger“ angebracht. Genau gegenüber vom Mittelportal beginnt die
Habersaathstraße, an deren linker Seite jetzt das Gebäude des
Bundesnachrichtendienstes steht. Lenné hatte Mitte des 19. Jahrhunderts die
Idee, die Straße als Ausgangspunkt eines Ringboulevards um die Stadt zu machen,
der im Abstand von mehreren hundert Metern von der Stadtmauer über den
Friedrichshain bis zu Stralauer Platz führen sollte. Diese Planung wurde nie
umgesetzt.
Seitenflügel
des Invalidenhauses
Dort wo jetzt der BND die
Nordseite dominiert, war früher der Exerzierplatz der Artillerie, später dann
Polizeikasernen und ein Polizeisportplatz, zu DDR-Zeiten dann erst das
Walter-Ulbricht-Stadium (später Stadion der Weltjugend). Der Invalidenpark endet inzwischen schon südlich
von der Habersaathstraße, da dort nun eine Plattenwohnbebauung steht. Früher
erstreckte sich der Invalidenpark noch weiter nördlich der Habersaathstraße,
die damals noch Kesselstraße hieß. In der Mitte der Kesselstraße war ein Platz,
auf der die Invalidensäule aufgestellt war. Dieses Denkmal werden wir uns im
Anschluss noch genauer im Zusammenhang mit dem Invalidenpark ansehen.
Blick
auf das Invalidenhaus von der Habersaathstraße
Das Invalidenhaus war
ursprünglich gegründet worden, um für die dienstuntüchtigen preußischen Soldaten
eine Versorgungsanstalt zu haben. Die ersten Überlegungen waren, dass die
Invaliden sich auch selbst versorgen könnten und dabei das sandige Land urbar
machen. Von diesen Überlegungen musste man bald wieder abkehren, die Ländereien
wurden verpachtet. Das Invalidenhaus blieb weiter militärisch organisiert,
das kaiserliche Interesse wurde allerdings immer geringer. 1920 wurde die
militärische Organisation des Invalidenhauses abgeschafft und das Gebäude dem
Reichsarbeitsministerium unterstellt. 1937 wurde dann die Stiftung
Invalidenhaus wieder der Wehrmacht zugegliedert. Letzter Kommandant des
Invalidenhauses wurde Wilhelm Staehle. Wir haben schon auf dem
Invalidenfriedhof sein Grab gesehen, vorher schon den Platz, wo er den Tod
gefunden hat. Er gehörte zum Widerstand, war deswegen im Zellengefängnis
Lehrter Straße inhaftiert, und gehörte zu den 16 Häftlingen, die kurz vor
Kriegsende auf dem ULAP-Gelände erschossen wurden.
Wir haben inzwischen wieder
die Invalidenstraße erreicht und biegen noch einmal rechts ab, um die ehemalige
Kaiser-Wilhelm-Akademie genauer anzusehen.
Kaiser-Wilhelm-Akademie
Die Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen wurde 1908 fertiggestellt. Sie sollte sicherstellen, dass genügend Militärärzte zur Verfügung stehen. Die unmittelbare Nachbarschaft zur Charité war dabei sicher hilfreich. Die Ausbildung in der Akademie war kostenlos, man musste sich allerdings danach für eine bestimmte Zeit als Militärarzt zur Verfügung stellen. Zu den Absolventen der Akademie gehörte u.a. der Dichter Gottfried Benn. Benn selbst fand später lobende Worte für die Akademie. Sie ist in der Invalidenstraße von weitem wegen der charakteristischen Kupferturmspitze zu erkennen.
Das
Eingangsportal war ursprünglich noch von zwei großen Skulpturen gesäumt. Man
sieht immer noch an der Fassade zwei Bänder mit Symbolen, die wohl an das
ärztliche und kriegerische Geschäft erinnern sollen. Es ist eine interessante
Übung, sich diesen Fries anzusehen und zu versuchen zu erraten, um was es sich
handeln könnte. An der Ecke zur Scharnhorststraße ist dafür, besser zu
erkennen, ein Relief eines antiken Kämpfers mit Pferd.
Die Kaiser-Wilhelm-Akademie musste
gemäß dem Versailler Vertrag aufgelöst werden; das Gebäude wurde ab 1919 vom
Reichsarbeitsministerium genutzt. 1934 wurde hier dann wieder die Ausbildung von
Militärärzten aufgenommen. In der sowjetischen Besatzungszeit wurde das Gebäude
zum Militärlazarett.
In der DDR zogen in das Gebäude das Ministerium für Gesundheitswesen sowie die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberste Gericht der DDR. Hier tagte auch der 1. Strafsenat des Obersten Gerichts unter dem Vorsitz der späteren Justizministerin Hilde Benjamin. Unter ihrem Vorsitz verhängte das Oberste Gericht das erste Todesurteil der DDR. Benjamin war wegen ihrer großen Härte in der Verhandlungsführung gefürchtet; die Urteile standen oft auch schon vorher fest. Insgesamt verhängte das Oberste Gericht 17 Todesurteile.
In der DDR zogen in das Gebäude das Ministerium für Gesundheitswesen sowie die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberste Gericht der DDR. Hier tagte auch der 1. Strafsenat des Obersten Gerichts unter dem Vorsitz der späteren Justizministerin Hilde Benjamin. Unter ihrem Vorsitz verhängte das Oberste Gericht das erste Todesurteil der DDR. Benjamin war wegen ihrer großen Härte in der Verhandlungsführung gefürchtet; die Urteile standen oft auch schon vorher fest. Insgesamt verhängte das Oberste Gericht 17 Todesurteile.
Das Gebäude wird inzwischen vom
Bundeswirtschaftsministerium genutzt.
Friedhof - Park - Haus
AntwortenLöschenund Wissen von anno dazumal !!! *Respekt*