Freitag, 17. Januar 2020

Spaziergang (2) Ulanenkaserne bis Zellengefängnis


Die Ulanenkaserne

Luftbild von 1910. Links oben Ulanenkaserne, daneben Zellengefängnis. Darunter ULAP-Gelände, Lehrter Bahnhof und Humboldthafen. (Bild gemeinfrei.)

(Kartenabschnitt für diese Etappe.)

Wir gehen über die Haupttreppe zu Alt-Moabit und biegen dort rechts ab, wo wir bald den Anfang der Invalidenstraße erreichen.
Dort wo auf der rechten Seite früher das Ausstellunggelände mit Park und künstlichen Teichen und Urania-Gebäude war, stehen inzwischen eine Polizeiinspektion, die Gewerbeüberwachung und ein Aldi. Auch auf der linken Straßenseite erinnert nichts mehr an die Erstbebauung. Dort wo die Ulanenkaserne war, ist nunmehr die Heinrich-Zille-Siedlung. Die Kaserne wurde in den 50ern abgerissen, Anfang der 80er wurde die Siedlung fertiggestellt, die knapp 900 Wohnungen für 2400 Bewohner bietet. An die Ulanenkaserne erinnert nur noch ein Gedenkstein in der Claire-Waldoff-Promenade, die von der Invalidenstraße an der Heinrich-Zille-Siedlung abzweigt. Er zeigt einen Reiter mit Fahne und hat die Inschrift: "Den in Weltkrieg 1914-1918 gefallenden Helden des 2. Garde Ulanen Regiments zum Ehrenden Gedächtnis dem stolzen tapfren Regiment zum Andenken". Es folgen die Namen derjenigen, die „den Heldentod“ starben. Das Denkmal stammt von Josef Limburg und wurde 1923 errichtet.

Man macht sich erst einen Eindruck von der Größe der früheren Kaserne, wenn man die Strecke von der Ecke Invalidenstraße/Alt-Moabit bis zu der Gedenkstätte des ehemaligen Zellengefängnisses abgeht, das war die Vorderfront des Geländes. Wenn man das Gelände nebst dem früheren Exerzierplatz umlaufen wollte, müsste man dann in die Lehrter Straße einbiegen, bis zur Kruppstraße, dort dann wieder links in die Rathenower Straße bis zur Invalidenstraße zurück. Die Nordgrenze der eigentlichen Kaserne ist nunmehr durch die Sedlitzstraße bezeichnet. Immerhin musste Platz für 600 Soldaten und ebenso viele Pferde sein. Das 2. Garde-Ulanen-Regiment Regiment kämpfte im Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866, im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und – wie wir von dem Gedenkstein wissen – im 1. Weltkrieg. Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Regiment aufgelöst. 

Es gibt Bilder, auf denen zu sehen ist, wie im November 1918 die Kaserne den Arbeiter- und Soldatenräten übergeben wird, die ein Transparent tragen: „Brüder! Nicht schießen!“ Die Verbrüderung war aber nur von kurzer Dauer: Teile des Regiments kehrten  als Freiwilligen-Escadron des 2. Garde-Ulanen-Regiments in die Kaserne zurück, darunter auch die späteren Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Harry Graf Kessler schreibt in sein Tagebuch am 1.1.1919: „Die Wilhelmstraße ist wieder schwarz von Menschen, Regierungstreue. Alle Fenster der Reichsämter und Palais starren von Soldaten. Um elfeinviertel spricht vom Balkon des Reichsamts des Innern ein älterer Soldat oder Unteroffizier: „Es wird losgehen! So geht es nicht mehr weiter. Wir müssen die Spartakusbande ausräuchern. Truppen sind unterwegs. Ihr müsst aber mithelfen. Wer für die Regierung ist, soll sich zur Verfügung stellen. Ich habe hier Waffenscheine. Kommt herein und holt sie euch. Mit den Waffenscheinen geht ihr nach der Invalidenstraße zur II. Garde-Ulanen-Kaserne. Dort bekommt ihr Waffen. Aber die Kinder müssen weg von der Straße. Liebknecht wird sie nicht schonen; er braucht Reklameleichen. Nieder mit Liebknecht! Hoch die Regierung Ebert-Scheidemann!“ Ziemlich viele aus der Menge drängen nach dem Tor zu den Waffenscheinen.“

Ende Juni 1927 fand man bei Arbeiten am Stadtbahnbogen 314 auf dem benachbarten ULAP-Gelände zunächst 16 Skelette, später dann weitere Skelette, insgesamt sollen es 126 gewesen sein. Die Skelette waren schon stark verfallen, es wurden auch keine Überreste von Kleidung gefunden. Bei den ersten 16 Skeletten soll es sich um Männer von 20 bis 25 Jahren gehandelt haben, denen der Schädel eingeschlagen wurde. Die erste Vermutung war, dass es sich um Leichen von Spartakisten handelte. Dafür sprach der Fundort und die Nutzung des Geländes: Nach dem 1. Weltkrieg hatten Spartakisten das ehemalige Reservelazarett, das auf dem ULAP-Gelände angelegt wurde, besetzt; Kämpfe mit den Freikorps-Soldaten der Ulanenkaserne waren zwangsläufig. Massentötungen hatte es im Januar 1919 in Berlin einige gegeben. Diese Deutung findet sich auch heute noch an vielen Stellen, zum Beispiel auch im Wikipedia-Eintrag zum ULAP. Den damaligen Presseberichten kann man jedoch entnehmen, dass der Gutachter Medizinalrat Prof. Strauch davon ausging, dass die Skelette schon deutlich länger als 50 Jahre dort lagen. Der Vorwärts berichtete im Juli 1929, dass weitere Skelette auch unter den Stützpfeilern der Stadtbahn ausgegraben worden seien, was auch für eine frühere Grabanlage sprechen würde. Über die Zuordnung der Skelette gab es (vor allem zwischen sozialdemokratischer und kommunistischer Presse) einen großen Streit. Erich Mühsam mochte in einem Beitrag für seine Zeitschrift „Das Fanal“ die offizielle Darstellung nicht recht glauben, Erich Weinert schrieb ein Gedicht Stadtbahnbogen 314, nach dem Fundort der Leichen benannt.

Johannes R. Becher erinnert sich in seinen Tagebüchern 1950, die 1951 im Aufbau-Verlag veröffentlicht wurden, an eine Begegnung mit Medizinalrat Prof. Strauch 1928, der ihn psychiatrisch begutachten sollte: Im Hintergrund des Arbeitszimmers standen der Wand entlang einige Säcke, die mit Knochen gefüllt waren. „Das sind die Ulap-Knochen“, erklärte er, als er bemerkte, dass ich die Knochen anstaunte. (Im Ulap-Vergnügungspark in Berlin waren bei Aufräumungsarbeiten Skelette gefunden worden, von denen die „Welt am Abend“ behauptete, es handele sich um Skelette gefallener Spartakisten, die man dort heimlich verscharrt habe.) „Da hat mir Ihre ‚Welt am Abend‘ wieder schön zugesetzt, als sie behauptet hat, das wären vergrabene Spartakisten-Skelette. Aus der Franzosenzeit stammen sie, diese Knochen. Sie können sich jederzeit selbst davon überzeugen. […]“ Bei den späteren Arbeiten für den Berliner Hauptbahnhof wurden noch weitere fünfhundert Tote gefunden, die wohl russische Soldaten waren, die bei der Besetzung Berlins 1760 starben, waren. Der ULAP-Vergnügungspark war also – genauso wie schon der vorherige Ausstellungspark - buchstäblich auf Leichen gebaut war, das Amüsement der Weimarer Republik war Tanz auf dem Massengrab.

Die Ulanenkaserne wurde danach von der Reichswehr genutzt. 1943 wurden hier Juden, die von der SS in der sog. Fabrikaktion am Arbeitsplatz abgeholt wurden, in den ehemaligen Pferdeställen der Ulanenkaserne festgehalten, ohne Verpflegung und unter unsäglichen hygienischen Zuständen. 2000 Menschen wurden mehrere Tage festgehalten und im März 1943 auf dem Moabiter Güterbahnhof in Züge nach Auschwitz gezwungen. Der Moabiter Güterbahnhof war an der Stelle, an der man heute den Bahnhof Beusselstraße findet. Dort hält (noch) der TXL-Bus, eine der wenigen öffentlichen Verbindungen zum Flughafen Tegel. Ich habe oft beim Warten auf den TXL-Bus von der Beusselbrücke aus die Gleise fotografiert, ohne zu wissen, dass das ein Ausgangspunkt für die Züge nach Auschwitz war.

Blick von der Beusselbrücke. Rechts war früher der Güterbahnhof Moabit. 

hrend wir aufgrund des Gedenksteins für die Toten des Ulanenregiments wissen, wer aus diesem Regiment im 1. Weltkrieg gestorben ist, findet man bei der Kaserne keinen Gedenkstein für die deportierten Juden (Beim früheren Güterbahnhof Moabit gibt es jedoch seit Juni 2017 einen Gedenkort zwischen Quitzowstraße und Ellen-Epstein-Straße). Über die verschiedenen Stolpersteine in Berlin kann man zumindest wenige Namen der damals nach Ausschwitz Deportierten erfahren: Zu ihnen gehörten die am 13.08.1877 geborene Elsbeth Rubensohn, für die in der Windscheidstraße 9 ein Stolperstein verlegt wurde, der am 18.11.1896 geborene Herbert Kabaker, für den in der Babelsbergerstraße 11 ein Stolperstein verlegt wurde, sowie Auguste Cäcilie Tuchler, geboren am 4.9.1891, die als Zwangsarbeiterin bei Osram von der SS von ihrem Arbeitsplatz geholt und zur Ulanenkaserne gebracht wurde (Stolperstein in der Nollendorfstraße 28).

Zellengefängnis Lehrter Straße


Wir stellen fest, dass wir schon auf den ersten hundert Metern unseres Weges tausendfachem Mord, Verrat und Niedertracht begegnet sind. Wir gehen nun weiter die Invalidenstraße ostwärts. Gegenüber vom Hauptbahnhof sehen wir das Gelände des früheren Zellengefängnisses Lehrter Straße, von dem noch die Außenmauern stehen. Das Gefängnis wurde 1957/58 bis auf die Außenmauern abgerissen und  der Platz diente in der Zwischenzeit als Kleingartenanlage, Lagerfläche, Schrottplatz und von Autoreparaturwerkstätten. Seit 2006 ist auf dem Gefängnisgelände ein Geschichtspark eingerichtet. Der Eingang mit den Stelen, die an Gitterstäbe erinnern, soll noch einmal verdeutlichen, dass es sich hier früher um ein Gefängnis gehandelt hat. Wikipedia teilt mit, dass der Geschichtspark in Fachkreisen als „schwierige Gratwanderung zwischen Gedächtnis und Gedenkstättenkitsch, Erholung und Geschwätz“ gelobt werde.

Blick von der Sandkrugbrücke auf das Zellengefängnis. (Bild gemeinfrei.)

Das Zellengefängnis Lehrter Straße wurde in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts errichtet. Es galt damals als besonders fortschrittlich, weil es keine Gemeinschaftszellen, sondern Einzelzellen gab. Ein Stich von 1855 gibt einen guten Eindruck von dem Gebäude. Wir sehen Spaziergänger, die die Sandkrugbrücke überqueren, dahinter sieht man zu rechter Seite den großen Komplex mit den Wachtürmen. Im Hintergrund links sieht man dann noch die Front der Ulanenkaserne.  Das Gefängnisgebäude innen ist sternförmig angelegt, mit fünf Armen. Auf dem Gedenkgelände kann man durch verschiedene bauliche Markierungen noch sehen, wie diese Arme verliefen. In der Mitte saßen die Wächter, die unmittelbar alle Gefängnistrakte im Blick hatten.

Zu den Inhaftierten zählen neben Friedrich Wilhelm Voigt, der hier noch vor seinem Auftritt als Hauptmann von Köpenick eingesperrt war, auch Erich Mühsam, Ernst Busch und Wolfgang Borchert. Erich Mühsam wurde kurz nach dem Reichstagsbrand verhaftet, nach wenigen Wochen von der SA aus dem Zellengefängnis geholt und in das KZ Oranienburg gebracht, wo er 1934 umgebracht wurde. Da das Zellengefängnis in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts auch von der Gestapo als Untersuchungshaftanstalt genutzt wurde, waren viele Widerstandskämpfer in dem Zellengefängnis inhaftiert. Zu den wegen des Verdachts der Verschwörung gegen Hitler Inhaftierten gehörte 1945 auch Gustav Noske, der 1919 als Reichswehrminister für die Freikorpssoldaten zuständig war.

In dem Gefängnis war auch ein Richtplatz, der die früher genutzten Hinrichtungsstätte am Gartenplatz ablöste, dort hatten teilweise zehntausende Menschen bei Hinrichtungen zugesehen. Nach dem Preußischen Strafgesetzbuch sollten Hinrichtungen aber nicht mehr öffentlich sein. Deswegen wurden ab 1850 Todesurteile im Hof des Zellengefängnisses vollstreckt. Am 11.2.1853 wurde hier z.B. Franz Schall hingerichtet, der „kleine Jäger“, der wegen Mordes an dem Viehhändler Ebermann zum Tode verurteilt wurde. Es handelte sich um einen Indizienprozess, ein wesentliches Indiz gegen Schall war, dass er mit dem Ermordeten vor der Tat in der Invalidenstraße gesehen wurde. Den Berichten können wir entnehmen, dass neben den zwölf vorgeschriebenen Zeugen noch weitere 100 Personen, darunter zahlreiche Ärzte, anwesend waren, an die Einlasskarten verteilt worden waren. Der Eingang des Gefängnisses wurde militärisch bewacht, um ungeladene Zuschauer abzuschrecken. Schnee und schlechtes Wetter schreckten die Zuschauer nicht ab. Während früher Hinrichtungen auf einem Sandhaufen zu ebener Erde vollzogen wurden, wurde jetzt das Schafott hoch auf einem Podium angebracht – der Feierlichkeit wegen. Der Delinquent wurde auf einen Block geschnallt und mit einem Beil geköpft. Die Hingerichteten wurden auf dem Gefängnisfriedhof bestattet. Insgesamt gab es bis 1886 über 20 Hinrichtungen im Zellengefängnis, ab 1890 waren die Scharfrichter dann in der Strafanstalt Plötzensee. 

Am 11.5.1949 fand noch eine letzte Hinrichtung im Zellengefängnis Lehrter Straße statt. Es wurde der 24jährige Berthold Wehmeyer mit dem Fallbeil hingerichtet, der wegen Mord und Vergewaltigung zum Tode verurteilt worden war. Die Todesstrafe wurde in der Bundesrepublik durch das Grundgesetz, das am 23.5.1949 in Kraft trat, abgeschafft. Das Grundgesetz galt jedoch nicht in Berlin, hier wurde von den Westalliierten die Todesstrafe 1951 nur teilweise abgeschafft; in Bezug auf die Gerichtsbarkeit der Alliierten blieb die Todesstrafe grundsätzlich noch bis zur Wiedervereinigung möglich. In der DDR blieb es bei der Todesstrafe. In Berlin fanden aber nach 1949 keine Hinrichtungen mehr statt. 

In dem Geschichtspark kann man im Sommer Anwohner beim Picknick sehen, im Winter dienen die Wände Obdachlosen zum Unterschlupf. Im Sommer ist die Außenmauer mit ihren Ziegeln und Vorsprüngen ein beliebter Platz für die unterschiedlichsten Vögel. Im Winter sieht man nur die Nebelkrähen und – ansonsten in der Invalidenstraße eher ungewöhnlich – Rabenkrähen. In der Gedenkstätte ist ein Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus. In der Mitte steht ein offener Würfel, der die Stelle bezeichnet, wo der Hauptturm war. 


Eine nachempfundene Zelle im Geschichtspark.

Weiter hinten im Park ist ein offener Betonbau, der den früheren Zellen nachempfunden ist. In dieser Zelle ist eine Klanginstallation: Wenn man im Eingang verharrt, hört man Teile der Moabiter Sonette. Diese wurden von Albrecht Haushofer in dem Zellengefängnis als Häftling im Winter 1944/1945 geschrieben. Haushofer war Professor für politische Geographie und Geopolitik. Er hatte gute Verbindungen zum Auswärtigen Amt und zu Rudolf Heß, aber auch ab 1940 zu verschiedenen Widerstandsgruppen. Nach dem Englandflug von Rudolf Heß wurde er schon für einen Monat in „Ehrenhaft“ genommen und stand danach unter Überwachung. Martin Bormann sah in ihm einen der intellektuellen Urheber des Englandflugs von Rudolf Heß. Haushofer war nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 untergetaucht und danach verhaftet worden. An der östlichen Wand des Geschichtsparks stehen folgende Verse aus den Sonetten: „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, ist unter Mauerwerk und Eisengittern ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern.“ Ein anderes Sonett, den Widerstandskämpfern gewidmet endet mit den Versen: „…und ihrer aller wartet der Strick. Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt. Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt.“

Geschichtspark, Blick nach Osten. 

Kurz vor Kriegsende, als die russische Armee schon vor und in Berlin stand, wurde Albrecht Haushofer am 22.4.1945 zusammen mit 15 anderen Gefangenen wahrscheinlich von SS-Angehörigen abgeholt. Ihnen wurde mitgeteilt, sie würden in die Prinz-Albrecht-Straße (Hauptquartier der Gestapo) verlegt. Tatsächlich führte der Weg der sechzehn aber nur über die Straße bis zum nördlichen Teil des ULAP-Gelände, wo sie von den SS-Männern erschossen wurden. Einer von ihnen, Herbert Kosny, erlitt nur einen Wangendurchschuss, stellte sich tot und überlebte als einziger die Aktion. Die Morde wurden tatsächlich auch der Polizei gemeldet; eines der für mich verstörendsten Details einer ohnehin verstörenden Geschichte ist, dass der Chef der Berliner Mordkommission damals ein Dr. Robert Schefe war. Dr. Schefe war ursprünglich Jurist, er promovierte an der Universität Jena mit einer urheberrechtlichen Dissertation. Er war zudem schon früh in den Vernichtungskrieg einbezogen, so z.B. als Leiter der Gestapo Lodz, wo er für die Schaffung des Ghetto Lodz mitverantwortlich war und damit selbst persönliche Erfahrung mit Morden sammelte. Natürlich wurden die Ermittlungen eingestellt. Auch nach dem Krieg wurde niemand dafür zur Verantwortung gezogen.

Viele der anderen politischen Gefangenen des Lehrter Zellengefängnisses wurden Ende April 1945 entlassen (so auch Gustav Noske und Haushofers Bruder Heinz, der ebenfalls dort inhaftiert war), da das Unterliegen im Krieg schon absehbar war. Bei der Mordaktion vom 22.4.1945 waren zum einen Häftlinge, gegen die es schon ein Todesurteil des Volksgerichtshofs gab, ausgewählt, aber auch zahlreiche bislang noch nicht Verurteilte. In Bezug auf Haushofer war noch nicht einmal das Ermittlungsverfahren abgeschlossen gewesen; er hatte vorher auch zahlreiche Hafterleichterungen bekommen, da er von Heinrich Himmler den Auftrag erhalten hatte, eine Abhandlung zur aktuellen Lage abzufassen. Es wird vermutet, dass die Feindschaft Martin Bormanns dazu geführt hat, dass auch Haushofer zu den Opfern der Mordaktion wurde.

Bei seiner Leiche wurde ein Exemplar seiner Moabiter Sonette gefunden. 

ULAP revisited

ULAP-Park mit Blick auf das Bahnviadukt.

Wir überqueren wiederum die Invalidenstraße und sehen das frühere ULAP-Gelände nun mit etwas anderen Augen. Die Mordaktion des 22.4.1945 fand wohl dort statt, wo nunmehr das Gewerbeüberwachungsamt steht. Aber damit ist noch kein Ende mit Blut und Gewalt auf dem Vergnügungsgelände. Nach dem Konkurs des Vergnügungsparks wurde das Gelände noch für verschiedene Veranstaltungen genutzt, offenbar auch von allen Parteien. Die Nazis engagierten sich allerdings immer stärker dort, die NSDAP führte dort z.B. Ende 1932 eine Braune Messe durch, eine Ausstellung von Unternehmen des Handwerks und des Einzelhandels. In den dreißiger Jahren nutzte die SA Moabit das ULAP-Gelände auch als Treffpunkt und Exerzierplatz. Aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels erfahren wir, dass er am 14.2.1933 dort eine Rede vor der Hitlerjugend gab: „Gleich an die Arbeit. Zu Hause mehr geschuftet. Abends vor der H-Jugend Ulap. Überfüllt. Fabelhafte Jungs. ...! Zu Hause mehr Arbeit. Magda sehr süß. Heute schwerer Tag. Draußen Schnee und Eis.“ Von März bis November 1933 verschleppte die SA Regimegegner zum ULAP-Gelände und verhörte und folterte sie dort. Die SA hatte ihren Stützpunkt wohl in dem Hauptausstellungsgebäude, das östlich des jetzigen ULAP-Parks lag. So wurde auch Günther Joachim, ein Berliner Rechtsanwalt, am 18.3.1933 von der SA-Hilfspolizei verhaftet. Er starb am 29.3.1933 aufgrund der Verletzungen durch die Folterungen auf dem ULAP-Gelände. Wegen seines Todes stellte sein Bruder Strafanzeige, der Generalstaatsanwalt stellte das Ermittlungsverfahren allerdings unter Verweis auf die Verordnung des Reichspräsidenten über die Gewährung von Straffreiheit vom 21. März 1933 ein. Diese Verordnung enthielt in § 1 folgende Vorschrift: Für Straftaten, die im Kampfe für die nationale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle begangen sind, wird Straffreiheit nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gewährt.

Das Gelände wurde ab 1936 wieder als Ausstellungsgelände genutzt, es wurde die Deutsche Luftfahrtsammlung dort ausgestellt. Von dieser Zeit stammt auch die jetzige Gestaltung der Treppe nach Alt-Moabit; der Eingang war noch mit zwei Löwenfiguren gesäumt, die jetzt im Verkehrsmuseum stehen. Zu den Ausstellungsstücken zählte auch das große Verkehrsflugschiff Dornier Do X. Ab 1942 hatte dann die AEG dort Unterkünfte für ausländische Zwangsarbeiter, in denen etwa 50 Zwangsarbeiter lebten. 1943 wurde das Gelände bei Bombenangriffen schwer beschädigt. Nach Berichten sollen bis in die 60er Jahre noch Teile einer DoX auf dem Gelände herumgelegen haben.

Am 2.5.1945, kurz vor Kriegsende, gab es noch weitere Todesfälle auf dem ULAP-Gelände. Nach Hitlers Tod hatte Martin Bormann, der Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP und enger Vertrauter Hitlers, zusammen mit anderen Insassen des Führerbunkers versucht, aus dem Stadtzentrum Berlins zu entkommen. Sie bewegten sich von der Weidendammbrücke in Mitte den S-Bahn-Geleisen entlang. Auf dem S-Bahnviadukt am Lehrter Bahnhof nahm Martin Bormann zusammen mit einem Begleiter Zyankali aus einer Glaskapsel. 1972 wurde die vergrabene Leiche unter dem Bahnviadukt entdeckt, 1998 konnte mit einer DNA-Analyse nachgewiesen werden, dass es sich tatsächlich um Bormann handelte. Martin Bormann fand damit nur wenige Meter von Albrecht Haushofer den Tod.

Der ULAP-Park geriet Anfang 2019 noch einmal in die Schlagzeilen, weil dort vom Bezirk Mitte sehr rabiat ein Obdachlosencamp geräumt wurde. 




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