Freitag, 17. Januar 2020

Spaziergang (5) - Charité, Robert-Koch-Platz, Invalidenpark


Charité

Wir überqueren vor der Sandkrugbrücke die Straße und gehen am Alexanderufer des Humboldthafens an den Charité-Gebäuden entlang, die durch einen hohen Zaun abgesperrt sind. 

(Kartenausschnitt für diese Etappe.)
Nach etwa hundert Metern kommen wir zu einem Tor, durch das wir auf das Charité-Gelände gelangen. Mit dem Bau der Charité hatte man bereits 1710 begonnen, vor allem, um ein Lazaretthaus in der Pestepidemie zu haben. Die roten Backsteingebäude, die man jetzt noch sieht, stammen vom Umbau 1896 bis 1917, einer Blütezeit der Klinik. Auch heute noch hat die Charité die Doppelfunktion eines Krankenhauses und einer medizinischen Fakultät, auch wenn die Medizinnobelpreise in den letzten Jahrzehnten ausblieben. In südlicher Richtung sieht man das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité, das 14.000 Präparate zeigt, bei denen man sich wohl besser wenig Gedanken macht, woher und von wem sie stammen.

Wir gehen in der Virchowstraße parallel zur Invalidenstraße durch die Höfe weiter und haben vielleicht das Glück auf einen der ersten selbstfahrenden Busse Berlins zu treffen. Diese werden von den Verkehrsbetrieben auf dem Charité-Gelände eingesetzt, da sich auf diesem Privatgelände weniger Haftungs- und rechtliche Fragen ergeben. 



Durch einen Schlagbaum kommen wir zur Hannoverschen Straße, die zunächst in den Platz vor dem Neuen Tor und den Robert-Koch-Platz mündet. Etwas weiter die Hannoversche Straße entlang im Osten könnten  wir noch weitere Charité-Gebäude sehen, so auch das frühere Leichenschauhaus (Hannoversche Straße 6), in dem bis 2004 die Pathologie der Charité war. Hier fand auch die weiter oben beschriebene Begegnung zwischen Johannes R. Becher und Medizinalrat Prof. Strauch statt.


Robert-Koch-Platz

Robert-Koch-Platz, dahinter Charité-Hochhaus.

Wir sind auf dem Robert-Koch-Platz, der von der Luisenstraße durchtrennt wird. Die Gartenarchitektur stammt wieder von Lenné, der 1840 den damaligen Luisenplatz entworfen hat. Auf der östlichen Seite ist ein Standbild von Robert Koch, das 1916 aufgestellt wurde. In der Zwischenzeit wurde es verlegt, seit 1993 ist es wieder am alten Platz. Wolfgang Herrndorf schreibt am 6.4. 2010 in seinem Blog Arbeit und Struktur über seinen Besuch des Platzes: „Es gibt wenig, was unsichtbarer wäre als Denkmäler. Aber wenn man so durch die Straßen läuft wie ich zur Zeit, fallen sie einem doch auf. Imperatorenpose, weißer Marmor, Hannoversche Straße: „Dem siegreichen Führer im Kampfe gegen Seuche und Tod“ Robert Koch. Es rührt einen deutlich mehr, wenn man gerade unter einem der modernsten Linearbeschleuniger gelegen hat als wenn nicht.“

Gegenüber dem Robert-Koch-Denkmal  ist ein Standbild des Nobelpreisträgers für Chemie von 1902, Emil Fischer. Für Emil Fischer gibt es 100 Meter entfernt auch eine Gedenkplakette an dem Haus in der Hessischen Straße 2, in dem er gearbeitet hat. Im gleichen Gebäude wirkte auch Lise Meitner, die erste deutsche Physik-Professorin, die zusammen mit Otto Frisch die erste physikalisch-theoretische Erklärung der Kernspaltung erarbeitete.

Bemerkenswert sind die Kastanien, die teilweise noch von der Erstbepflanzung aus dem 19. Jahrhundert stammen sollen. Sie haben den Weltkriegen, Nachkriegswintern und Miniermotten getrotzt und sind jeden Frühling noch eine Pracht anzusehen. Etwas abseits von unserer Strecke, einen Kilometer die Luisenstraße hinunter, gibt es die Pappel vom Karlsplatz über die Brecht einst ein Gedicht schrieb, in dem die Anwohner des Karlsplatzes gelobt werden, dass sie auch im Hungerwinter 46 den Baum nicht umgehauen haben: Seid bedankt, Anwohner vom Karlsplatz, dass man sie noch immer hat. Die bedichtete Pappel wurde allerdings wenig später doch umgeschlagen, sie nahm angeblich Mietern das Licht. Heute findet man dort eine neue Pappel und eine Tafel mit dem Brecht’schen Gedicht.



Schinkel-Skizze vom Neuen Tor. (Bild gemeinfrei.)

Auch wenn es genügend Gründe gäbe, auch die Luisenstraße und den Charité-Campus genauer anzusehen, orientieren wir uns wieder Richtung Invalidenstraße und gehen über den Platz am Neuen Tor zum Invalidenpark. Das Neue Tor war von Schinkel entworfen und wurde im 2. Weltkrieg zerstört.



Die neuen kubischen Bauten an der Seite der Luisenstraße empfinden den früheren Bau allerdings überraschend gut nach. Wenn wir nicht gleich zum Invalidenpark gehen, sondern noch ein kleines Stück weiter östlich die Hannoversche Straße hinab, sehen wir, dass die rote Ziegelmauer, die alle Häuser auf der linken Seite im Erdgeschoss haben, bei der Nr. 9 etwas anders aussieht. Tatsächlich haben wir es hier mit den einzigen erhaltenen 40 Metern der auch von Schinkel entworfenen Berliner Stadtmauer zu tun, die 1997 in den Neubau integriert wurden. An einem Tor kann man in den Innenhof sehen, wo sich ein weiteres Stück der Stadtmauer, das wohl zu einem Turm gehört hat, zeigt. Die Höhe der Mauer gibt einem einen guten Eindruck davon, wie früher die Innere Stadt von der Stadt vor den Toren getrennt war.




Invalidenpark



Wir stehen jetzt am Invalidenpark. Er wurde ursprünglich 1843 von Lenné angelegt, von dessen ursprünglichen Konzepten sich jedoch nur noch wenig findet. Der Invalidenpark wird inzwischen geprägt von dem Denkmal „Sinkende Mauer“ nach einer Idee von Christophe Girot, das seit 1999 dort steht. Es handelt sich um ein Stück Mauer, das gleichsam im Boden einsinkt. Man kann auf das Denkmal steigen und bei den gegenüberliegenden Hotels und Bürobauten in die Fenster sehen. Im Sommer ist um das Denkmal ein Wasserbecken. Das Denkmal und der Invalidenpark sind seit 2019 der regelmäßige Treffpunkt der Fridays-for-Future-Demonstrationen in Berlin.




Der Invalidenpark ist inzwischen deutlich kleiner als früher, an der Nordseite wird er durch die Plattenbauten begrenzt. Der Blick wäre Mitte des 19. Jahrhunderts noch ganz anders gewesen. 1850 wurde in der Mitte der damaligen Kesselstraße, etwas entfernt von dem Hof des Invalidenhauses, das National-Krieger-Denkmal errichtet. Dabei sollte auch den Soldaten, die im Rahmen der Märzrevolution 1848 gefallen waren, gedacht werden. Es handelte sich um eine hohle eiserne Säule, die auf einem Steinsockel stand. Auf der Säule stand eine Skulptur eines etwa zwei Meter hohen Adlers, der die Flügel auf acht Meter ausgestreckt hatte. Innen in der Säule war eine Wendeltreppe mit 189 Stufen, sie war begehbar bis zu einer Plattform unterhalb der Adlerfigur. Die Invalidensäule war mit insgesamt ca. 38 Metern deutlich kleiner als etwa die Siegessäule, die 67 Meter misst. (Zum Vergleich: Der jetzt zu sehende Schornstein des Heizkraftwerks Scharnhorststraße ist 150 Meter hoch.) Trotzdem handelte es sich um ein imposantes Bauwerk, das den Invalidenpark prägte. Die Invalidensäule wurde 1948 mit einem Seilzug umgerissen. Es gibt Fotos, auf denen man sieht, wie Passanten neben den Trümmern der umgeworfenen Säule stehen. Wahrscheinlich hatten sie aber 1948 andere Sorgen.


Invalidensäule (Bild gemeinfrei.)

Im Invalidenpark gab es noch verschiedene andere, wenn auch nicht so auffällige militärische Denkmäler. Interessant ist das Denkmal für die Ertrunkenen des preußischen Schiffs SMS Amazone.Die Amazone war eine Kriegskorvette, die im November 1861 in der Nordsee im Sturm unterging. Bei dem Denkmal handelte sich um einen sechs Meter hohen Obelisken aus Granit, der auf vier Tafeln die Namen der 114 ertrunkenen Matrosen zeigte. Der Obelisk trug die weitere Aufschrift: Ihren geliebten Kindern, die trauernden Eltern. Dieser Obelisk war im vorderen Teil des Invalidenparks zu finden. Wenn man sich heute vorstellen will, wie er ausgesehen hat, kann man sich an der Sinkenden-Mauer-Skulptur orientieren. Diese ist mit 7 Metern nur geringfügig höher, wahrscheinlich war aber der Obelisk näher an der Invalidenstraße.  

Schließlich gab es Ende des 19 Jahrhunderts Bestrebungen, eine Kirche im Invalidenpark zu bauen. In die Planungen war der Evangelische Kirchenbauverein involviert, der auch die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche als Kirchbauprojekt betrieb. 1895 wurde die Gnadenkirche fertiggestellt. Es handelte sich um eine Kirche im frühromanischen Stil, die Platz für 1500 Gläubige hatte. Sie wurde, wie alte Ansichtskarten zeigen, auch Kaiserin-Auguste-Gedächtniskirche genannt. Die damalige Berichterstattung zeigt deutlich, dass beide Gedächtniskirchen als verwandte Bauten gesehen wurden. Beide bewusst in dem für Berlin unüblichen romanischen Stil, beide als Zeugnis der Verbindung zwischen Christen- und Preußentum gedacht. Der Hauptturm der Gnadenkirche war etwa 69 Meter hoch. 

In der Nazizeit waren die Pfarrer der Kirche Vertreter der sog. Deutschen Christen; ein Pfarrer soll jeden Gottesdienst mit dem feierlichen Hereintragen der Hakenkreuzfahne begonnen haben. Die Gnadenkirche wurde im Krieg schwer beschädigt, der Hauptturm wurde zerstört. In den Nachkriegsjahren wurde die Inneneinrichtung geplündert, die Holzbänke dienten wohl als Brennholz. Anders als die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Westen wurde die Ruine allerdings nicht restauriert. Fotos aus den 50er Jahren zeigen das Sportstadium, im Hintergrund der markante beschädigte Turm der Gnadenkirche. Die Ruine blieb bis 1967 im Invalidenpark stehen, bis sie dann abgerissen wurde.



Eine Glocke der Kirche ist inzwischen auf dem Invalidenfriedhof.

Wenn man etwa auf Höhe der Sinkenden-Mauer-Skulptur noch einmal auf die andere Straßenseite geht, kann man im Foyer des dortigen Bürogebäudes verschiedene große Skulpturen der Künstlerin Christel Lechner ansehen. Die Frau, die versonnen auf die Straße sieht, hat schon einige Passanten getäuscht.



1 Kommentar:

  1. Charité - Kastanien - Park - Glocke - Friedhof und dies und das ... bemerkenswert !!!

    AntwortenLöschen